Fahrtrichtung Freiheit

Aline Bock und Anne-Flore Marxer mit Snow- und Surfboard in Island

von Silvia Schlereth

Wetter, Schnee und Wellen bestimmen das Ziel dieser Reise entlang der rund 1.300 Kilometer langen Ringstraße Hringvegur.

„Halt, sofort anhalten. Alle raus aus dem Auto“, ruft Ann-Flore Marxer, die gerade erst eingenickt war. Es ist ein Uhr nachts, als ein Wohnmobil mit vier Reisenden im Norden Islands von der Ringstraße abbiegt und nach nur wenigen Metern auf einer Nebenstraße in Schnee und Morast zum Stillstand kommt. Der Fahrer des Campervans wollte sich gerade eine kurze Verschnaufpause gönnen, als es passierte. Kein besonders glücklicher, wenn auch für Island nicht untypischer Start einer 12-tägigen Rundreise mit dem Wohnmobil. Die Straßenverhältnisse zeigen sich oft so launisch wie das Wetter, das in besagter Nacht dem stürmischen Ruf der Insel alle Ehre bereitet. Jetzt heißt es, kühlen Kopf bewahren, Stirnlampen gerade richten und schaufeln, bevor ein Weiterkommen endgültig unmöglich wird. Es geht gerade noch mal gut aus. Schon nach kurzer Zeit kann die erfahrene Anne-Flore mithilfe ihrer Reisegefährten den Camper im eisigen Schneesturm zurück auf die Hauptstraße setzen. Das Abenteuer Island beginnt für die zwei Outdoorprofis und ihr Kamerateam mit einem fulminanten Start.

Ein kleines Haus auf Rädern

„Ich wollte die Insel unbedingt mit dem Wohnmobil erkunden, weil uns so ein kleines Haus auf Rädern unterwegs ultimative Flexibilität und Freiheit garantiert“, erklärt Aline. „Mit genügend Stauraum für diverse Sportausrüstungen lassen sich unterwegs gleich mehrere Sportarten kombinieren und die eigene Outdoorleidenschaft voll ausleben. Snowboarden, Surfen, Wandern, Mountainbiken – ein Abenteuer geht dann einfach immer.“ Von Reykjavik aus, wo die Gruppe ein für die Wetter- & Straßenverhältnisse der Insel gut ausgestattetes Wohnmobil angemietet hat, ist das Team unterwegs in den einsamen Norden der Insel. Dort zeigen sich menschenleere Gipfel vulkanischen Ursprungs in rauer Wildheit zwischen Himmel und Ozean. Steil und oftmals unbestiegen. Ein Paradies für Snowboarder und Tourengeher mit den anspruchsvollsten Abfahrten der Insel und eine Szenerie, die sich vollkommen von den populären Bergsteigerzielen der Alpen unterscheidet. Wer den Weg hierher findet, wird mit unvergesslichen Naturerlebnissen belohnt.
Rund um die isländische Hauptstadt gibt es eine ganze Reihe zuverlässiger Auto- & Wohnmobilvermietungen für Fahrzeuge aller Art von der Standardausstattung bis 4WD. Es ist auch möglich, das eigene Wohnmobil relativ unkompliziert via Fähre auf die Insel zu bringen. Man sollte dafür aber etwas mehr Reisezeit einplanen. Immerhin dauert die Überfahrt von Dänemark ganze 48 Stunden. Für die Miete vor Ort spricht definitiv, dass isländische Fahrzeuge mit Spikes an den Reifen besser für die Wetter- und Straßenverhältnisse auf der Insel gerüstet und angemessen versichert sind.

Tiefblaue Fjorde und unberührte Abfahrten

Am Morgen nach dem nächtlichen Schneesturm werden Aline und Anne-Flore von zarten Sonnenstrahlen geweckt, die durch die Fenster hereindringen. Völlig unerwartet hat sich ein für isländische Begriffe schönes Wetterfenster aufgetan. Einem ersten Tag auf dem Snowboard steht nichts mehr im Wege. Obwohl beißende Windböen ständige Begleiter bleiben, ist der Tag vor atemberaubender nordischer Kulisse ein echtes Erlebnis. Zwar warten hier weder zünftige Gipfelbrotzeiten noch sonnige „Aussichtsbankerl“ für die Pause zwischendurch, dafür gibt es unvergessliche Weitblicke über tiefblaue Fjorde und den majestätischen Arktischen Rücken. Und lange, menschenleere Abfahrten, die erst an schwarzen Lavastränden ein Ende finden. Besser geht es kaum, sollte man meinen. Wären da nicht die heißen Quellen und Thermalpools, die überall entlang des Weges zu einem wohltuenden Bad einladen. Entspannung à la Island wirkt Wunder. Und im Wohnmobil wird es danach mit einem heißen Getränk umso gemütlicher.

Die perfekte Welle

Der nächste Tag bringt kein gutes Bergwetter für die vier Reisenden. Da kommt der Anruf eines befreundeten Surfers, der ebenfalls gerade auf der Suche nach einsamen Surfspots in Island unterwegs ist, gerade recht. An einer Bucht ganz in ihrer Nähe sollen heute perfekte Wellen laufen. Spontan wird das Wohnmobil an den Strand geparkt und die Surfbretter ausgeladen. Ebenmäßige Wellen laufen vor den Augen der Surfer zwischen Eisschollen Richtung Ufer. Bei ihrem Anblick kostet es Anne-Flore und Aline nur einen Atemzug der Überwindung, sich in die 5 mm dicken Neoprenanzüge inklusive Kapuze, Handschuhe und Booties zu zwängen. Nur einen Herzschlag später finden sie sich inmitten einer Handvoll einheimischer Surfer im eisigen Polarmeer wieder. „Es ist sehr hart, ins Wasser zu gehen, wenn es draußen schneit und die Wassertemperatur weit unter 10 Grad liegt. Aber wenn die Bedingungen so gut sind, wie an diesem Tag, dann vergisst du die Kälte. Zumindest für eine kurze Zeit. Du bist zu 100 Prozent fokussiert auf das Jetzt, auf das Meer und die Wellen. Das Adrenalin, das dich dabei durchströmt, schärft deine Sinne und macht dich stark. Erst später realisierst du, wie sehr du an deine persönlichen Grenzen gegangen bist. Dann fühlst du dich stärker als vorher. Unbesiegbar – und unglaublich hungrig“, beschreibt Aline das Besondere am Coldwater-Surfing und warum sie sich in ihrem Leben immer wieder diesen unwirtlichen Bedingungen aussetzt.
Die letzten beiden Tage haben mehr gebracht, als sich die beiden in so kurzer Zeit auf der Insel erhofft hatten. Ein kurzer Blick auf die Wetterapp verspricht allerdings nicht allzu viel Gutes für die nächsten Tage. Die Gruppe beschließt die Weiterfahrt nach Süden, wo immerhin gute Surfbedingungen vorhergesagt sind. Wer in Island mit dem Wohnmobil Kilometer machen möchte, nutzt die insgesamt circa 1.300 Kilometer lange Ringstraße Hringvegur. Als Hauptverkehrsstraße umrundet diese die Insel einmal komplett, ist asphaltiert und im Gegensatz zu den Nebenstraßen ins Landesinnere gut befahrbar. Gletscherlagunen, Wasserfälle, Vulkangebirge, Fjorde und die charakteristischen Geysire reihen sich an ihrem Verlauf wie Straßenverkehrsschilder in Mitteleuropa. Man muss sie nur aufsammeln. Alle gängigen Island-Reiseführer bieten dazu die notwendigen Informationen.

Mystische Naturschauspiele

Nach 8 Stunden Fahrt erreichen Aline und Anne-Flore endlich die Strände des Südens. Die versprochenen Wellen sind ausgeblieben, die See bleibt still. Island ist wankelmütig, wie eine Fahne im Wind, der dieser Tage ununterbrochen stark weht. Immer wieder fällt Nieselregen. Trotzdem, oder gerade deshalb, gibt es auf der Insel der mystischen Naturschauspiele viel zu entdecken. Faszinierende Lichtspiele und die Geschichten von Trollen und Elfen fesseln – egal, wie das Wetter ist.
Aline und Anne-Flore folgen in den verbleibenden Tagen ihrer Reise den Trekkingpfaden jenseits der großen Natursehenswürdigkeiten. Blaue Lagune, der Große Geysir, der Wasserfall Gullfloss sind eindrucksvoll, keine Frage. Doch besonders in der Hauptreisezeit, im Frühjahr und Sommer, geht es dort fast schon hektisch zu. Island boomt, seit es mit einem charismatischen Fußball-WM-Team und dem Ausbruch des großen Vulkans Eyjafjallajökull in der Welt auf sich aufmerksam gemacht hat. Die Ruhe, die Magie, von der alle Welt spricht, ist nicht mehr allgegenwärtig. Aline und Anne-Flore finden sie am Ende ihrer Reise trotzdem, vor allem jenseits der großen Highlights. Beim Beach-Cleaning an einsamen Buchten, an steilen Klippen zwischen Hunderten Seevögel und unter dem Regenbogen inmitten unzähliger Schafe, wo es die Insel ihren Besuchern weiterhin leicht macht, den Moment zu genießen.

Zur Person:

Aline Bock: Als ehemalige Freestyle-Snowboarderin wurde Aline Bock 2009 Vize-Weltmeisterin der Freeride World Tour und holte sich im darauffolgenden Jahr den Titel als Freeride World Champion 2010. Seitdem konzentriert sich die in Innsbruck wohnhafte deutsche Snowboarderin auf Big Mountain- und Backcountry-Filmprojekte und ist unter anderem in Alaska, Japan, Norwegen oder – wie hier – in Island unterwegs.
www.alinebock.de

Anne-Flore Marxer: Die Schweizerin Anne-Flore Marxer wurde 1984 in Lausanne geboren und gewann 2011 auf dem Snowboard die Freeride World Tour.  2010 wurde sie in Frankreich zur Snowboarderin des Jahres gekürt.

Infos

Links & Wissenswertes

Fähranreise mit oder ohne Wohnmobil mit der Smyril Line von Hirtshals/Dänemark nach Seydisfjördur in Ostisland:
www.smyrilline.de

Autovermietungen rund um Reykjavik bieten Fahrzeuge, ausgestattet mit Spikes und Winterreifen für die Bedingungen vor Ort:
https://www.mcrent.eu/motorhome-rv/

Wetter-App Island
www.vedur.is ist auch in englischer Version erhältlich,

Reisewarnungen
www.safetravel.is sendet individuelle Wetterwarnungen, die geplante Reiseroute kann online hinterlegt werden für schnelle Hilfe unterwegs.

www.Road.is liefert rund um die Uhr Information zu aktuellen Straßenbedingungen.
Top-Ten-Tipps für Reisen auf Islands Straßen auf drive.is. Ohne www.tankstellen-island.de geht gar nichts. Für den Hunger zwischendurch dort unbedingt die Hotdogs probieren.

Übernachten im Wohnmobil ist gerade während der Sommermonate nur auf ausgeschriebenen Campingplätzen erlaubt. Große Auswahl auf www.campingkarte.is

Skitourengebiete:
Auf den Halbinseln Tröllaskagi und Hiddenland, in den Westfjorden sowie rund um Olafsfjördur ganz im Norden der Insel finden sich die bekanntesten Gebiete zum Skifahren, Snowboarden und Tourengehen.