Zugspitze auf die ehrliche Tour

Aus eigener Kraft auf Deutschlands höchsten Berg – eine Reportage

von Klaus Berghold*

Die Zugspitze ist mit 2962 Metern der höchste Berg Deutschlands. Der Gipfel mit dem vergoldeten Kreuz ist beliebt, von der Gondel Bergstation in fünfminütigem Bergabenteuer zu erreichen und am Wochenende meist dicht bevölkert. Die erste belegte Besteigung fand im August 1820 durch ein Vermessungsteam des bayerischen Heeres statt. Auch 200 Jahre danach ist der Aufstieg auf den Gipfel ohne technische Aufstiegshilfe eine ordentliche Tour, allein wegen der 1700 Höhenmeter, die zu absolvieren sind. Aber auch vom Gipfel gibt es mit dem Jubiläumsgrat noch ein weiteres Kletterabenteuer.
Der Alpenverein hat diesen ab 1906 an einigen Stellen versichert. Es handelt sich dabei um eine 9 Kilometer lange Klettertour im zweiten Schwierigkeitsgrad über einen der höchsten deutschen Gipfelgrate hinüber zur Alpspitze. Pünktlich zum 200-jährigen Jubiläum der Zugspitz-Erstbesteigung haben wir den Gipfel und den Jubiläumsgrat bestiegen.

Gämsen und Ruinen

Der höchste deutsche Gipfel ohne Seilbahn, das ergibt einen langen Zustieg. Wir starten freitags am Nachmittag von Ehrwald zur Wiener Neustätter Hütte. Zweieinhalb Stunden Aufstieg vorbei an Gämsen und Ruinen von aufgegebenen Seilbahn-Gebäuden. Am Schluss quert man auf ausgesetztem Wanderweg in der Zugspitz-Nordflanke mit Blick auf den darunterliegenden Eibsee. Die Hütte kommt erst 50 Meter davor in Sicht. Wegen Corona muss jeder Bergsteiger Schlafsack und Betttuch dabei haben. Nur 15 Personen übernachten heute verteilt auf einzelne Zimmer. In der Nacht hat es im Zimmer unter 10 Grad.
Da fällt der morgendliche Start in den Klettersteig namens Stopselzieher nicht schwer. Über abschüssige Schneefelder zum Einstieg. Der Klettersteig besitzt moderate Schwierigkeiten. Es sind mehr die Höhenmeter, die hier beeindrucken. Es ist kalt, neblig und sieht gespenstisch aus, als wir unterm Gipfel die alte Station der Tiroler Seilbahn passieren. Ein echter Lost Place. Gespenstisch taucht die verlassene Station im Nebel vor uns auf.

Unwirkliches Treiben

Krass ist der Unterschied, als wir 200 Meter höher in die neue Zugspitz-Gipfelstation kommen. Eintritt mit Mundschutz. Ein nagelneues elegantes Design-Restaurant. Da es draußen windig ist bei Temperaturen um 0 Grad, bleiben wir 2 Stunden im Restaurant und schauen dem seltsamen Treiben am Zugspitzgipfel zu, der neben dem Restaurant 30 Meter hochragt. Viele Asiaten und Europäer streben auf direktem Weg zum Gipfel und stehen vor der Leiter an, um hinter den anderen den Gipfel zu erreichen.
Etwa um 13 Uhr müssen auch wir los, da wir noch eine lange Klettertour vor uns haben. Der Wetterbericht sagt auf dem Jubiläumsgrat etwa 5 Grad voraus, obwohl in Stuttgart deutlich über 25 Grad gemessen werden. Der Jubiläumsgrat wurde vom Deutschen Alpenverein ab 1906 eingerichtet. Es gibt im tiefer liegenden Teil beim Hochblassen einige mit Drahtseil gesicherte Passagen, jedoch verlangen die ersten 5 Stunden am Grat ausgesetzte Kletterei mit Kletterstellen bis 3-.
Wir starten bei Wind und Nebel auf den Grat, der mit schöner Kletterei immer auf der Gratschneide beginnt. Wir sichern mit einem mitlaufenden Seil, welches die Seilschaft vor einem Absturz bewahrt. Im Fall des Falles eines Bergsteigers bleibt das Seil entweder am Grat oder an einer der Zwischensicherungen hängen. Darüber hinaus führt die Sicherung dazu, dass man an den ausgesetzten Stellen ohne Angst etwas schneller unterwegs ist.
Nach unzähligen Felsspitzen und abschüssigen Passagen kommen wir am Notabstieg zur Knorrhütte vorbei. Eigentlich wollten wir in der tieferliegenden Hütte übernachten. Im Nebel ist aber schnell klar, dass die mittlerweile stark verwitterten Markierungen von oben zur Hütte hinunter durch die steile Felswand nicht zu finden sind. Also gehen wir weiter am Grat zum Biwak, das ich von vergangenen Begehungen gut kenne. Mittlerweile sind hier 14 Plätze in der roten Blechhütte vorhanden. Wir treffen auf 3 Bergsteiger, die hier ebenfalls nächtigen. Und nach anfänglichen Erzählungen über die erlebten Abenteuer, ist man hier nach den Anstrengungen auch schnell eingeschlafen.

Immer noch ein Abenteuer

Nach dem Frühstück geht es weiter bis zum Hochblassen, wo am Grat mehr Drahtversicherungen vorhanden sind, sodass man hier mit Klettersteigset gehen kann.
Allerdings sind hier lange Passagen zwischendrin auch ungesichert. Vorsicht ist der beste Begleiter. Etwa um 12 Uhr erreichen wir die Grieskarscharte am Ende des Jubiläumsgrates. Die Sonne ist mittlerweile durch den Nebel durchgekommen, und wir genießen den Blick zurück zur Zugspitze, die wirklich weit hinten im Tal steht. Nun müssen wir noch weiter zur Alpspitze und von dort hinunter nach Garmisch.
Der Jubiläumsgrat ist eines der großen Bergsteiger-Abenteuer, die Deutschland zu bieten hat. 200 Jahre seit der Erstbesteigung der Zugspitze kann man entscheiden, ob man von Tirol oder Grainau in der Gondel oder der Zahnradbahn von Garmisch zum Gipfel fährt – oder den Berg mit allen seinen Herausforderungen erlebt, wenn man ihn selbst besteigt.

Infos

Die Erstbesteigung

Im August 1820 wagte sich der Leutnant Joseph Naus gemeinsam mit zwei Weggefährten auf die Erstbesteigung des „Zugspitz“. Am 27. August 1820 um 11.45 Uhr hatten die Bergsteiger den inzwischen nicht mehr existenten Westgipfel erreicht. Damals war von der späteren Erschließung mit mehreren Bergbahnen und zahlreichen Gästen noch nichts zu ahnen, einzig ein rotes Sacktuch, befestigt an einem Wanderstock, wehte auf dem Gipfel – als Beweis für die erfolgreiche Erstbegehung. Die Bergsteiger nutzten den Weg durch das Reintal, der zwar als der einfachste Aufstieg gilt, aber immer noch 2200 Höhenmeter und 20 Kilometer Strecke misst. Naus selbst schreibt in seinem Tagebuch von „einigen Lebensgefahren und außerordentlichen Mühen“. Quelle: DAV

*Zur Person

Der Sindelfinger Klaus Berghold (Bild: z) ist stellvertretender Vorsitzender der Sektion Schwaben des Deutschen Alpenvereins (DAV) und zuständig für die Aus- und Fortbildung in der Sektion, das Kursprogramm, Sicherheitsfragen im Kletter- und Bergsport und für Kinderklettergruppen. Die Sektion hat über 
30 000 Mitglieder und bewirtschaftet mehrere Hütten in den Alpen und auf der Schwäbischen Alb.
www.alpenverein-schwaben.de