Zauberhaftes Trentino

Links und rechts vom Valsugana

von Dieter Buck

Ich muss ja zugeben, über Südtirol hinaus bin ich, was Berge angelangt, noch nie hinausgekommen. In Richtung Süden meine ich. Dieses Mal hatte ich mir jedoch das Trentino ausgesucht, genau gesagt, das Valsugana, östlich von Trient, mit dem nördlich gelegenen Lagorai-Gebirge und dem südlich des Tals liegenden Altipiano di Vezzena.
Wie sagt Wikipedia, das alleswissende Portal, so schön: „Die Valsugana (auch Val Sugana, deutsch gelegentlich Suganertal bzw. Suganatal) ist ein Tal in Italien im Südosten des Trentino östlich von Trient an der Grenze zum Veneto.“
Sehr treffend gesagt, aber auch trocken. Was ist also die Valsugana? Kurz und gut, aus eigener Erfahrung: Es ist ein herrliches Tal, mit zwei wunderschönen Seen, der Brenta, die hier durchfließt, und mit den typisch norditalienischen Bergen, den Fleimstaler und den Vizentiner Alpen und der Brentagruppe, die man im Blickfeld hat, auch ein erstklassiges Ziel für Bergfreunde. Es liegt zwischen zwei deutschen Sprachinseln in denen noch das alte mittelhochdeutsche Zimbrisch gesprochen wird: Im Norden das Valle del Mocheni, im Süden Lusérn (Luserna). Zudem hat es den Vorteil, dass das Tal nicht so überlaufen ist wie manche Gegenden in Südtirol oder Österreich. Grund also, dort mal in Urlaub und auf Tour zu gehen.

Auf die Cima Vezzena

Übernachtet habe ich an den Gestaden des Lago di Levico, um es poetisch auszudrücken. Mit Aussicht auf die Cima Vezzena und den See. Und gerade diese Cima Vezzena war mein erstes Ziel. Begleitet wurde ich von meinem Bergführer Alessandro – man merkt, wir befinden uns im italienisch sprechenden Teil des alpinen Norditaliens.
Alessandro ist übrigens auch als Autor von Führern bekannt. Sein deutschsprachiger Führer steht unten. Er scheint hier mit jedem Stein per Du zu sein, war also genau der richtige, mir alles zu erklären. Zuerst ging es auf teilweise wagemutig in den Fels gearbeiteten Sträßchen hinauf zum Baita al Verne (1400 m). Ab hier folgten wir einer alten österreichischen Militärstraße, eines von vielen Relikten aus der Zeit des Ersten Weltkrieges, von denen wir noch mehr zu sehen bekamen.
Erst wanderten wir, unweit der Grenze zum Veneto, durch die grünen Almwiesen der Hochebene Altipiano di Vezzena. Wie Alessandro sagte, wäre das die größte Almfläche im Trentino. Kühe waren noch nicht zu sehen, Alessandro meinte, die kämen vielleicht eine Woche später – vor kurzem wäre hier noch Winter gewesen, und in den heute so überreich blühenden Wiesen mit ihren herrlichen Blumen wäre vor ein paar Tagen noch keine einzige Blume zu sehen gewesen. Wie auch zu erfahren war: Der DAV Summit Club hat hier vor kurzem sein Sommeropening gefeiert – allerdings mit Schneeschuhtouren anstatt mit Wanderungen. Alles verrückt…

Ein Sturm der Sonderklasse …

Was auch dazu passt war das Ereignis im Oktober 2018, als ein gewaltiger Sturm mit Windgeschwindigkeiten um die 200 Stundenkilometer, also von „Lotharschen Ausmaßen“, ganze Waldflächen platt legte. Das hatte auch Auswirkungen auf unsere Tour: Der „Normalweg“ wäre eigentlich der Steig 205 gewesen, der auf den Gipfel geführt hätte. Der war aber leider gesperrt, weil die Bäume kreuz und quer lagen. War vielleicht auch besser so: Die Militärstraße war nicht ganz so steil und gemütlicher zu gehen.
Jedenfalls führte sie uns zuerst zum Forte Verle (1505 m), eine Ruine eines österreichischen Befestigungswerkes. Etwas später tauchten wir in den Wald ein. In ihm stiegen wir bis kurz vor den Gipfel hinauf, der Restanstieg fand in der hier doch etwas brennenden Sonne statt.

… und Aussicht der Sonderklasse

Oben auf dem Gipfel stand eine weitere Ruine einer Befestigung, das Spitz Verle. Die grandiose Aussicht auf das Valsugana, den Lago die Caldonazzo und den Lago di Levico mit den gleichnamigen Orten sowie das landwirtschaftlich geprägte Mosaik des Talgrunds war grandios. Im Hintergrund baut die Brenta ihre Skyline auf. Eigentlich. Nicht aber heute an dem doch diesigen Tag. Schade – aber Dunst in der Luft ist ja ein Indikator für gut bleibendes Wetter, und das hat ja auch was für sich. Also konnte man die nicht sichtbare Brentagruppe verschmerzen.
Als kleine Kuriosität lernten wir Lorenzo kennen, einen Angehörigen der zimbrischen Sprachgruppe aus Lusérn. Er erzählte uns einiges von der Geschichte seines Tals, aber auch von Bekannten, die in die Nähe von Stuttgart ausgewandert sind. Wie klein ist doch die Welt ...

Wildes Lagorai-Gebirge

Was man unter einem Inferno versteht, das wissen wir auch im Deutschen. Und Infernoseen? Man darf gespannt sein, was sich dahinter verbirgt. Und um es vorher schon anzudeuten, es war ein überaus erlebnisreicher Tag, zu dem mich wieder Alessandro begleitete.
Dieses Mal stand das Lagoraigebirge auf dem Programm. Dieser herrliche Gebirgszug, in dem weite Wanderungen, auch eine Durchquerung, auf relativ einsamen Pfaden möglich sind, beginnt in Levico Terme und zieht sich nördlich des Valsuganatals rund sechzig Kilometer nach Osten.
Zuerst führte aber die Fahrt von meinem Quartier in Levico Terme durch das Valsuganatal nach Osten, dann ging es nach links hinauf und etwas später rechts ab ins Val Campanelle. Dabei durchfuhren wir gefühlt drei geografische Zonen. Zuerst hatte die Gegend eine überaus italienische Anmutung, wie man sie sich viel weiter südlich vorgestellt hätte, allenfalls der Vinschgau mit seinen Plantagen hatte eine gewisse Ähnlichkeit. Danach führte der Weg durch eine recht wilde, tiefe und bewaldete Schlucht, durch die sich das schmale Sträßchen an die Felswand geklebt schlängelte - und auf einmal öffnete sich das Tal und man fuhr durch eine liebliche Gegend mit Almwiesen.

Fast wie im Schwarzwald

Und hier starteten wir am Parkplatz Tedon (1350 m). Von hier aus folgten wir dem wild rauschenden Rio Caserine. Schwarzwaldfeeling kam auf: Hohe Nadelbäume, schmale Wege und Pfade, und ein wilder Bach mit Kaskaden und Wasserfällen neben dem Weg ließen ein ganz unitalienisches Gefühl aufkommen.
Schließlich traten wir aus dem Wald hinaus, und wieder überraschte am Platz Ponte Caldenare (1755 m) eine ganz andere Landschaft: Ein glasklarer Bach mäanderte durch grüne Wiesen, im Hintergrund stand eine riesige Felswand und dazwischen grüßte von einer Anhöhe das Rifugio Caldenave herab. Ein idyllisches Bild, das sich auch ein paar Familien als Picknickplatz erkoren hatten – einen schöneren Kinderspielplatz als das Bächlein findet man wohl auch selten.
Der Weg führte kurz am Bach entlang, dann schwang er sich aber nach links hinauf, wieder in den Wald. Durch ihn marschierten wir, teilweise auf schmalen und kurzzeitig auch ausgesetzten Steigen, bis in ein Hochtal. Das Inferno kündigte sich nun an.

Abenteuer im Inferno

Tja, und dieses Inferno entpuppte sich als das, was ich schon halb vermutet hatte: Es war ein riesiges Bergsturzgebiet, wie man es selten findet. Dazu ist die Hochfläche wie eine Arena von hohen Bergflanken umgeben. Unten floss der Bach und vor uns lagen die beiden Laghi dell’Inferno (1980 m). Leider waren wir aber zu früh nach der Schneeschmelze da – auch die Soldanellen, die wir sahen, wiesen auf die frühe Jahreszeit hin - und der See hatte ein riesiges Ausmaß angenommen. Auch die Wege waren überschwemmt. Auf regulärem Weg war an kein Fortkommen mehr zu denken.
Also schlugen wir uns auf einer Seeseite durch, kletterten über die riesigen Felsbrocken, schauten, dass wir uns nicht die Füße in den Spalten verkeilten und uns die Knochen an den wackeligen Steinen brachen. Na ja, irgendwie schafften wir es aber auf die andere Seite, wo wir wieder auf den Wanderweg stießen. Nach diesem Abenteuer aber war erst einmal eine Rast am eigentlich idyllischen See in seiner amphitheaterähnlichen Umrandung fällig.
Danach wäre es aber schön gewesen, wenn es bergab gegangen wäre. Es folgte aber noch ein (allerdings kurzer) weiterer Anstieg, dann hatten wir von der Anhöhe aus einen herrlichen Blick über das Lagoraigebirge.
Ab einem kleinen Hüttchen ging es aussichtsreich durch einen lichten Lärchenwald bergab; im Spätherbst muss das bei der Färbung der Bäume ein Paradies sein. Ab und zu spickte ein Gewässer zwischen den Lärchen hervor, der Busa del Lago (oder Lago di Busabella bzw. Lago di Nàsare). Kurz nach diesem idyllischen See ging es über eine Wiesenfläche steil hinab zu einer alten Holzhütte. Sie kann man sich von der Gemeinde als Ferienunterkunft mieten; wie Alessandro sagte, gibt es einige ähnliche Unterkünfte im Lagorai.
Danach begann der einfachere Teil der Wanderung: Im Prinzip eine Hatscherei durch den Wald zurück zum Parkplatz. Unterbrochen wurde dieses Wegstück aber durch eine Besonderheit, die es nur im Valsugana gibt.

Slow Food Almkäse von der Adoptivkuh

Im Valsugana kann man nämlich eine Kuh „adoptieren“. Gegen Gebühr kann man eine der etwa 150 Milchkühe, die ihre Sommerfrische auf den 17 Almen nördlich und südlich des Valsugana verbringen, adoptieren: Carolina, Juventina, Marta, Nadel, Rossa, Dolores, Laura – und wie sie sonst noch alle heißen. Meine Adoptivkuh hieß Molly, lebte auf der Malga Caserina, und war bereits Großmutter, demnächst sogar Urgroßmutter, wie der Senner Francesco Lenzi erzählte. Wer eine Kuh adoptiert, zahlt 60 Euro, von denen 10 Euro an wohltätige Zwecke weitergereicht werden, und erhält dafür Butter und Käse, den diese Kuh produziert. Und einen Identitätsausweis mit Hufabdruck! Das ist zwar eine Sache, die vor allem Kindern Spaß macht, aber auch Wanderer in gesetzterem Alter haben ihre Freude daran. Und an Butter und Käse natürlich auch.
Und die Malga Caserina lag glücklicherweise auf unserem Weg. Grund genug also, „meine“ Kuh zu besuchen, ein Schwätzchen mit dem Senner zu machen, und den Käse der Adoptivkuh mitzunehmen. Auch interessant: In dieser ganzjährig bewohnten Alm kann man auch „Urlaub auf dem Bauernhof“ machen.    
Nach einer Einkehr und mit etwas mehr Gewicht im Rucksack ging es dann recht flott zurück zum Ausgangspunkt.

Infos

Tourismusverband
Valsugana Lagorai

Tel. +39 0461 727700
www.visitvalsugana.it

Bergführer:
Alessandro Beber
Kontakt: www.mountime.com
Telefon +39 3394852008

Unterkunft:
www.hotel-ambassador.it/de/

Literatur:
Benno F. Zimmermann: Vizentiner Alpen. Fleimstal Lagorai Valsugana Monte Grappa Monti Lessini. Rother Wanderführer.
Alessandro Beber: Erlebnisskitouren im Lagorai. Tappeiner Verlag.

Empfohlene Karte:

KOMPASS Wanderkarte 75, Valsugana, Trento, Piné, Levico, Lavarone: 5in1 Wanderkarte 1:50 000 mit Panorama, Aktiv Guide und Detailkarten 1:25 000

Mehr zum Autor und seinen Büchern: www.dieterbuck.de