Rund um das Epizentrum des Erdbebebens

Trekking: Jörg und Nicola Stein aus Althengstett waren drei Wochen lang in Nepal unterwegs

von Jörg Stein

Im Mai und Juni 2015 erschütterten zwei schwere Erdbeben Nepal. Über die unmittelbaren Folgen wurde in den Medien berichtet, aber jetzt ist es still geworden. Vor Ort ist der Wiederaufbau aber noch längst nicht abgeschlossen. Die Althengstetter Jörg und Nicola Stein von der DAV-Bezirksgruppe Kreis Böblingen, waren im Oktober rund um den Manaslu unterwegs.

Eigentlich wollten wir im Oktober mit der Sektion Schwaben des Deutschen Alpenvereins den Manaslu (8163 Meter) umrunden, der nahe am Epizentrum des Erdbebens liegt. Schon bald war uns klar: Als organisierte Gruppentour ist das nicht mehr verantwortlich durchführbar. Deshalb musste ich die Tour als verantwortlicher Bezirksgruppenleiter absagen.

Von unserem Plan wollten meine Frau und ich uns jedoch nicht ganz abbringen lassen. Schließlich ist der Tourismus für die Bevölkerung vor Ort auch sehr wichtig. So nahmen wir Kontakt mit einem örtlichen Organisator auf, der sich nach dem Erdbeben um den Wiederaufbau kümmert. Erst nach dem Monsun im September wurde uns von ihm signalisiert: Mit Einschränkungen wäre eine private Tour mit wenigen Teilnehmern möglich.

Anfang Oktober ist es dann so weit: Wir fliegen nach Kathmandu. Viele der Kulturstätten, insbesondere der Durbar Square, sind durch das Erdbeben schwer beschädigt. In der Stadt selbst aber sind nur wenige Gebäude zerstört. Dort werden wir aber mit weiteren Komplikationen konfrontiert: Durch die Verfassungsänderungen in Nepal ist es zu Grenzblockaden mit vielen Todesopfern an der indisch-nepalesischen Grenze gekommen, die über Wochen andauern. In Deutschland haben wir davon nichts mitbekommen. Dadurch stockt vor allem der Import von Kochgas und Treibstoff, der öffentliche Verkehr wird extrem eingeschränkt, aber auch die Trinkwasserabfüllung wird unterbrochen. Dennoch gelingt es uns, mit einem Jeep zum Ausgangspunkt unseres Trekkings zu kommen.

Wir gehören zu den ersten Touristen, die nach dem Erdbeben die Manaslu-Umrundung wagen. Der Weg führt die ersten Tage durch eine enge Schlucht, in der es kaum Dörfer gibt. Der Weg ist allerdings an vielen Stellen durch Erdrutsche und Felsstürze zerstört. Gerade vor einer Woche wurde der Zugang wieder so weit hergestellt, dass die Schlucht passierbar wurde. Erst jetzt können die abgelegenen Dörfer wieder mit Mulis und Trägern erreicht werden.

Die Bergstürze, die eine Folge des Erdbebens sind, sind dramatisch: Die Felsbrocken sind so groß wie Häuser. Da der Weg häufig hoch in der Wand verläuft, sind sehr aufwendige Arbeiten notwendig. An einer Stelle geht es auf neuem Weg 400 Höhenmeter die Wand hoch. Beeindruckend ist die Qualität des Weges: Serpentinen und Mauern werden zukünftig wieder die Versorgung des Tals ermöglichen.

Die Tourenplanung muss spontan erfolgen: Auch das Tsum-Valley wird erst während der Tour als passierbar bezeichnet. Allerdings ist auch dort der Weg zerstört, und wir müssen uns ins Flusstal abseilen. Dort sind gerade zwei neue Holzbrücken erstellt worden.

Das Tal wurde die letzten Monate nur mit Helikoptern und über den 5100 Meter hohen Pass aus Tibet versorgt. Die Versorgung mit Grundnahrungsmitteln  insbesondere Reis  über das World Food Program funktioniert, allerdings müssen wir auf Fleisch und andere Luxusgüter verzichten. So ist die Bevölkerung auch über die von uns gespendete Kleidung dankbar.

In diesem abgelegenen Himalaya-Tal sehen wir viele zerstörte Häuser. Die Dörfer sind sehr unterschiedlich betroffen: Manche sind fast vollständig zerstört, nur wenige Kilometer entfernt gibt es kaum Schäden. Glücklicherweise hat es aber durch das Erdbeben hier nur wenige Todesopfer gegeben.

Auf dem Rückweg aus dem Tsum-Valley sind wir überrascht: In nur drei Tagen hat die Dorfbevölkerung einen neuen Weg errichtet. Die Abseilstelle auf unserem Hinweg ist nun obsolet. Auch die Häuser werden wiederaufgebaut  aus den alten Steinen und Holzbalken. Alles funktioniert nur mit privater Initiative. Immer wenn die Regierung ins Spiel kommt, geht nichts mehr. So ist auch die Stromversorgung in der Region immer noch zusammengebrochen. Lediglich kleine private Solar-Panels dienen als Notversorgung, ein Telefonnetz gibt es nicht.

Je weiter wir nach Norden kommen, umso beeindruckender wird die Bergwelt. Wir verlassen die Schlucht des Budhi Gandaki und erblicken die Eisriesen des Himalaya, insbesondere natürlich den Manaslu. Auf 3875 Meter erreichen wir das letzte Dorf, Samdo. Hier treffen wir auch auf Sonam Lama, unseren Organisator. Er ist Assistant Professor für Architektur an der Universität von Kathmandu und erklärt nun zusammen mit seinen Studenten der Dorfbevölkerung, was beim Neubau der Häuser bezüglich Erdbebensicherheit zu beachten ist. Es gibt hier ja keine Statiker, sondern jeder schichtet seine Steine ohne Mörtel zu einem Haus auf.

Auch das Hochlager in Dharamsala auf 4400 Meter ist erst seit wenigen Tagen wieder geöffnet. Sonst wäre die Überquerung des 5160 Meter hohen Larkya-Passes sehr lang gewesen. Und wir haben auch Glück mit dem Wetter. Wir schaffen die Überquerung noch vor dem Schlechtwettereinbruch: Zwei Tage später wäre der Pass wegen Neuschnee unpassierbar gewesen. Und das hätte problematisch werden können, da wir den langen Weg zurück nicht mehr bis zu unserem Rückflug geschafft hätten. Schnell verlieren wir wieder Höhe und kommen in den "Indian Summer": Lärchen und Laubbäume zeigen eine prächtige Laubfärbung.

In Dharapani treffen wir dann auf die Annapurna-Runde. Schlagartig nimmt die Anzahl der Touristen zu. Schließlich ist dieses Trekking eine der meist begangenen Touren in Nepal. Entsprechend gut ist auch die touristische Infrastruktur. Von Erdbebenschäden ist auf dem Weg nach Besi Sahar kaum etwas zu sehen. Allerdings wird der alte Weg zunehmend auf die neue Fahrstraße verlegt, da er bei Erdrutschen nicht mehr repariert wird.

Auch nach drei Wochen Trekking ist der Konflikt mit Indien immer noch nicht beigelegt. So müssen wir bezüglich der Rückfahrt nach Kathmandu wieder improvisieren. Schließlich sind wir aber glücklich mit dem eingeplanten zeitlichen Puffer wieder rechtzeitig unseren Rückflug antreten zu können. Es war eine Reise, die unter einem schlechten Vorzeichen stand, aber dennoch ein ganz besonderes Erlebnis war. 

Infos

Nepal ist dringend auf ausländische Touristen angewiesen. Mittlerweile sind fast alle Regionen wieder für Trekking-Touren zugänglich. Es spricht also nichts gegen Reisen in dieses so faszinierende Land. Für nächstes Jahr plant der Alpenverein wieder Touren in die Region: Im März im Langtang-Helambu, im November um die Annapurna und im April 2017 die Manaslu-Umrundung. Details zu den Touren findet man unter www.alpenverein-bb.de im Internet.