„Da bleibt wenig Raum für Zweifel“

Interview: Extrem-Mountainbiker Harald Philipp findet Pfade und viel mehr

von Agathe Paglia

Am 27. März war Mountainbike-Abenteurer Harald Philipp mit seiner neuen Vortragsreihe „Pfad-Finder“ im Böblinger ins Sparkassen-Forum. Der Wahl-Innsbrucker nahm sein Publikum mit auf eine eindrückliche Reise.

Sie führte auf Gipfel der Alpen und Nordkoreas, auf vereiste Vulkane Sibiriens und Pässe des Himalaja – und hinein in seine ganz persönliche Geschichte. Abenteuer Mountainbike sprach mit dem Pfad-Finder.

Bikebergsteiger, Mountainbike-Abenteurer nennt man Dich. Wie siehst Du Dich selbst?

Harald Philipp: „Ich bin ein Geschichtenerzähler, aber zunächst ein Geschichtenfinder. Ich finde sie links und rechts meines Weges, den ich – anders als andere – eben mit dem Mountainbike „gehe“. Diese Geschichten so authentisch wie möglich zu erzählen, ist am Ende die größere Herausforderung, als die Gipfel und Pässe zuvor zu befahren.“

Wie kam sie, die Liebe zum Extremsport?

Harald Philipp: „Vor 22 Jahren habe ich mein erstes Mountainbike gekauft: Ein Focus Killer Bee, das Rad des damaligen Weltmeisters, Mike Kluge. Das Geld dafür habe ich mir in den Ferien in der Eislaufhalle beim Schlittschuhverleih verdient. Von da an war es eine organische Entwicklung. Ich bin in kleinen Schritten einfach immer weitergegangen bis zu den Gipfeln und Klettersteigen, die ich heute befahre. Vermutlich ist das auch der Grund, weshalb mir bis heute nichts passiert ist: weder ein schlimmer Sturz noch ein Knochenbruch.“

Kann man sagen, Du fühlst Dich auf Reifen wohler als auf Sohlen?

Harald Philipp: „Ich bin trittsicherer mit dem Fahrrad als zu Fuß. Auf lockerem Schotter oder Kies rollt es sich viel besser als darauf zu laufen. Bei jedem Schritt ein Bein zu heben und möglicherweise auszurutschen, scheint mir wesentlich gefährlicher. Ich schau mir mein Terrain immer gut an und dann lasse ich es einfach rollen.“

Zuletzt bist Du im Himalaja „gerollt“. War das besonders?

Harald Philipp: „Ja, das war bislang meine emotionalste Erfahrung. Im Grunde waren es zwei Himalaja-Expeditionen. Insgesamt war ich fast fünf Monate dort. Die erste Expedition war viel zu groß angelegt und endete letztlich auch als richtig schlechter Trip. Erst im zweiten Anlauf, als wir deutlich demütiger reingegangen sind, hat sich das Ganze aufgeschlüsselt. Davon erzähle ich in meinem Vortrag.“

Wie planst Du die Routen für eine solche Expedition?

Harald Philipp: „Mithilfe von Google-Earth sieht man die Wege ziemlich deutlich. Wenn ich von Wegen spreche, meine ich keine von Menschen angelegten Pfade, sondern – wenn überhaupt – von Yak-Karawanen. Die Region Dolpo im Nordwesten Nepals an der tibetischen Grenze liegt völlig abgeschieden, dort gibt es keine Straßen. Wege auf die Gipfel gibt es auch nicht. Wir haben uns die Karten selbst gezeichnet und dafür die Satellitenbilder so groß aufgezogen, wie es irgend ging, um Routen auszumachen. Nepalesische Karten sind nicht zu gebrauchen. Darin stecken massive Fehler. Etwa ein Weg auf der anderen Flussseite, aber der Fluss ist nicht zu überqueren.“

Verpflegung, Zelte, Equipment – da muss vieles den Berg hoch. Wie groß ist ein Expeditions-Tross?

Harald Philipp: „Anders als bei uns in den Alpen gibt es im Himalaja keine Berghütten. Ortschaften und Zeltdörfer findet man nur entlang der Handelsrouten in den Tälern, aber dennoch auf 4500 Meter Höhe und mehr. Ich versuche den Tross zwar immer kompakt zu halten, aber wenn ich schöne Geschichten erzählen möchte, muss auch ein Kameramann dabei sein – mit Kamera, Drohne, je einem Ersatzgerät und zwei Solaranlagen. Wir waren schließlich fernab von jeglichem Strom. Eine Batterie pro Anlage wiegt sieben Kilo. Dafür allein mussten zwei Esel mit. Unsere Elektroesel.“

Wurde die extreme Höhe zum Problem?

Harald Philipp: „Beim ersten Trip hatten wir gesundheitliche Probleme durch massive Nebenwirkungen des Medikaments, das wir gegen Höhenkrankheit eingenommen hatten. Tatsächlich ist es besser, sich an die Höhe zu gewöhnen. Bei meiner zweiten Reise habe ich mich erst über fünf Wochen akklimatisiert und bin dann beim letzten Trip ganz bewusst in mein Höhenlimit über einen 5300 Meter hohen Pass gefahren. In diesen Höhen sollte man 600 Höhenmeter pro Tag nicht überschreiten. Ich lag bei 800. Es ist interessant, wie man dann denkt und fühlt. Höhenkrankheit lässt überraschend wenig Raum für Zweifel.“

Bist Du auch alleine mit dem Bike unterwegs?

Harald Philipp: „Bei meiner zweiten Expedition im Himalaja war ich allein. Und zu Hause bin ich ständig ohne Begleitung unterwegs. Ich lebe in Innsbruck, fahre mit der Seilbahn hoch und trage mein Bike danach noch eine Stunde hoch auf den Gipfel meiner Wahl. Im Karwendel, in der völligen Wildnis, bin ich weg von allem. Dann fühle ich mich total wohl. Und selbst dort, in unseren bekannten Alpen, finde ich immer neue Wege, um nach unten zu kommen.“

Flugreisen gehören bei Dir dazu. Ein Widerspruch für einen Naturfreund und in Zeiten, wo wir alle von Greta Thunbergs Appell wach gerüttelt worden sind. Du auch?

Harald Philipp: „Es ist in der Tat etwas, das mich belastet. Allein für den Vortrag ‘Pfad-Finder’ bin ich viel geflogen. Es ist großartig den Himalaya zu erleben. Doch zu wissen, dass man dafür gleichzeitig den Planeten schädigt, macht mir ein schlechtes Gewissen. Deshalb habe ich mich entschieden, ab jetzt keine Flugreisen fürs Biken mehr zu machen.“

Wenn Du eine Rede an die Nation halten könntest, wie würde Dein Appell lauten?

Harald Philipp: „Vielleicht die Botschaft, dass „höher – schneller – weiter“ nicht der Weg ist. In meinem Vortrag steht das Finden im Vordergrund. Man kann es reizen, aber nicht programmieren. Suchen ist anders. Da setzt man sich ein Ziel. So gehen wir Menschen üblicherweise vor. Das Finden aber findet links und rechts davon statt. Ich möchte Menschen dafür sensibilisieren, dass es viel spannender ist, sich ins Unbekannte zu begeben, das Spielfeld offen zu lassen und zu schauen, wohin das führt.“

Da ist er wieder, der Flow zum glücklich sein, Thema Ihrer letzten Vortragsreihe …

Harald Philipp: „Genau. Mit kindlicher Freude und Unbekümmertheit im Moment aufgehen, spielt auch hier definitiv mit hinein. Eine Welt aus Stress und Zeitdruck ist nicht flowig. Unsere Gesellschaft verlangt multitask. Im Flow sein ist monotask.“

Hast Du alles befahren, was Du je befahren wolltest?

Harald Philipp: „Die Suche nach dem perfekten Trail wird nie befriedigt sein. Aber wir wissen ja, dass ich kein Suchender bin, sondern ein Finder. Im Himalaja habe ich tatsächlich etwas gefunden, das perfekt für mich war. Sollte das der beste Trail meines Lebens gewesen sein, wäre es für mich okay.“

Du bist 35 Jahre alt. Wann soll Schluss mit den Extremen sein?

Harald Philipp: „Wahrscheinlich wird das Mountainbiking ab 40 nicht mehr mein Hauptthema sein.“

Klingt so, als gäbe es schon einen Plan B?

Harald Philipp: „Das werden wir dann sehen. Jetzt steht erst mal ‘Pfad-Finder’ an. Damit werde ich sicher drei bis vier Jahre auf Tour sein. Die Vortragsreihe ist ja gerade erst fertig geworden.“