Aufstieg für Einsteiger

Wandern auf Korsika: Mare a Mare Sud

von Thekla Dörler

„Auf Korsika ist eben alles anders“, scherzt ein deutsch-korsisches Ehepaar als es unsere erstaunten Blicke bemerkt, die über die uns umgebende Einöde streifen. Tatsächlich hatten wir mit einer günstigen Transportmöglichkeit gerechnet, um vom Flughafen Figari zum Startpunkt unserer geplanten Tour, dem Wanderweg „Mare a Mare Sud“ zu gelangen. Doch Linienbusse fahren hier nicht, ein Mietwagen ist ohne Reservierung schwer zu bekommen und das Taxi nach Propriano eindeutig zu teuer.

Wir lassen uns die Vorfreude auf den rund 75 Kilometer langen Weg durch das Mittelgebirge, der uns von der westlichen zur tyrrhenischen Meeresküste der Insel führen wird, aber nicht nehmen, denn nicht nur anders, sondern auch wunderschön soll sie schließlich sein, „la Corse“. Da wir die Insel ohnehin zu Fuß erkunden wollen, laufen wir ins vier Kilometer entfernte Zentrum von Figari. Unser Fußmarsch wird belohnt: die toughe Bedienung der hiesigen Bar stellt uns kurzerhand ihr Auto und einen Freund namens Jean-Louis zur Verfügung, der uns für weitaus weniger Geld mitnimmt, als es das Taxi getan hätte und auch noch direkt zum Ausgangspunkt unserer Tour bringt. Der gebürtige Korse, der in der Schweiz lebt, redet ein sehr schnelles Französisch und legt auch die kurvenreiche Strecke in rasantem Tempo zurück. Im Gesicht leicht grünlich, im Großen und Ganzen aber sehr glücklich, beziehen wir schließlich unsere bereits von zuhause aus reservierte „Gîte d‘étape“ in Burgo.


Die erste Wanderung führt uns am nächsten Tag von dort aus nach St. Lucie de Tallano. Wir sind größtenteils noch keine mehrtägigen Wanderstrecken gelaufen, wissen daher nicht, was auf uns zukommt – und sehen können wir es erst recht nicht, denn der Nebel wird dichter, je höher wir steigen. Schnell merken wir: Mehr Wasser und weniger Gepäck wäre hilfreich gewesen. Zwar lässt sich der Wasservorrat an Brunnen in den Dörfern auffüllen, doch findet man im Gebirge naturgemäß mehr Berg als Besiedlung. An diesem Tag, Ende Mai, steigt die Luftfeuchtigkeit zudem mit jedem Höhenmeter, den wir zurücklegen, und die Schwüle bringt uns ganz schön ins Schwitzen. Die sattgrüne, wunderschöne Berglandschaft entschädigt jedoch für die Strapazen: Wald und Felsen wechseln sich mit wild bewachsenen Ebenen und kleinen Wasserfällen ab und die imposante steinerne Brücke, die über den Gebirgsfluss Rizzanese führt, beeindruckt auch vor grauem Himmel. Nach guten sieben Stunden erreichen wir St. Lucie di Tallano.  

Immer der orangenen Markierung nach
Am nächsten Morgen lautet das Ziel Scopamena. Der gesamte Wanderweg ist – anders als in manch älterem Reiseführer beschrieben – gut gekennzeichnet, alle paar Meter zieren die orangenen Markierungen den Wegesrand, sind auf Steine oder Bäume gesprüht. Einzig in den Städtchen ist es nicht immer leicht, die richtige Route zu finden. Dafür wissen dort aber alle Bewohner bestens Bescheid und rufen den „marcheurs“ freundlicherweise von ganz alleine zu, wenn diese mal wieder die richtige Abzweigung verpassen. So auch eine Dame, die an diesem sonnigen Tag ihre Wäsche im Garten aufhängt. Abgesehen vom besseren Wetter, ist unsere zweite Etappe körperlich weitaus weniger anstrengend als die Erste, was auch an der ausgiebigen und erfrischenden Pause am eiskalten Rizzanese liegt, die uns ausreichend Energie für den anschließenden steilen Aufstieg gibt. Das rund 900m hoch gelegenen Örtchen Scopamena hält zur Belohnung einen der schönsten Ausblicke über die Berge und einen ungetrübten Sternenhimmel bereit.

Üppige Pflanzenwelt
Auf dem folgenden Streckenabschnitt von Scopamena nach Levie, beeindruckt uns tags drauf nicht mehr nur die vielfältige Vegetation und üppige Pflanzenwelt des korsischen Frühlings, wir begegnen auch erstmals freilaufenden Schweinen, sehen hunderte Eidechsen und sogar eine kleine Schlange an uns vorbeihuschen. Nach einem Zwischenstopp in Quenza geht es weiter durch Wald und Wiesen, vorbei an archäologischen Fundstätten. Als relative Wanderneulinge, die mittlerweile jeden Muskel ihres Körpers spüren, ist unser bedeutendster Fund an diesem Tag jedoch die „Gîte d‘étape“ in Levie, deren junge Besitzerin mit einfachen aber nützlichen Details in ihrer Unterkunft punktet: ein Handtuch vor der Dusche, ein Wäscheständer im Zimmer und ein Orangensaft, der den Namen auch verdient, zum Frühstück.

Die Elektrolyte können wir gebrauchen, denn mit dem Weg nach Cartalavonu steht uns mit der vierten Etappe der abenteuerlichste Teil unserer Reise bevor. Das Wetter ist regnerisch, immerhin lockt es zahlreiche Feuersalamander aus ihrer Deckung hervor, die wir auf unserem Weg hinab ins Tal noch ausgiebig bestaunen. Schließlich gelangen wir an einen Fluss. Die Brücke, die uns darüber führen sollte, liegt jedoch in zwei Teilen einige hundert Meter entfernt – ein erstes Indiz dafür, was für Naturgewalten im Frühjahr auf der Insel herrschen können. Wir finden eine Möglichkeit, den Fluss zu überqueren, ein Daumen und ein Kameraobjektiv kommen jedoch nicht ganz unbeschadet davon. „Ab jetzt geht es nur noch bergauf“ ist ein Satz, der auf einer solchen Wanderung weniger beruhigend klingt, als üblicherweise. Der Wald wird mit jedem Meter, den wir hinauf laufen nebliger und es windet zunehmend. Abgeknickte Baumstämme und herumliegende Äste, die das Bild des Waldes schon vom ersten Tag an geprägt haben, nehmen wir plötzlich anders wahr. In Carbini stocken wir unsere Wasservorräte auf, um dann weiter durch den stürmischen Nebelwald zu wandern.

Komplett durchnässt durch Nebelschwaden
Komplett durchnässt, sind nun auch keine Pausen mehr drin. Kurz vor der Ankunft in Cartalavonu steht uns der Bergkamm bevor. Es ist so windig dort oben, dass wir uns bemühen müssen, das Gleichgewicht zu halten. Die Felsen sind rutschig und unsere flapsigen Gespräche mittlerweile eingestellt, denn jetzt sollte dann doch lieber jeder Schritt sitzen. Nach wenigen Metern befinden wir uns aber bereits wieder im Schutz des Berghanges und eine knappe halbe Stunde später in unserer Unterkunft, wo wir uns auf die abfallende Anspannung einen Schnaps genehmigen. Der geht sogar aufs Haus. Als wir wenig später unsere heiße Suppe schlürfen, sehen wir durch die großen Fenster hindurch eine Herde Kühe unbeeindruckt durch die Nebelschwaden ziehen. Im Trockenen und ohne den pfeifenden Wind um einen herum, wirkt das Bild idyllisch. Nach der heilen Bergwelt sehnen wir uns auf unserer fünften und letzten Etappe nach Porto Vecchio dann auch schnell wieder zurück. Zwar lichtet sich der Nebel, je weiter wir hinunter laufen und die Vorfreude auf das belebte Hafenstädtchen Porto Vecchio steigt, doch führt der letzte Abschnitt unseres Weges rund eineinhalb Stunden an der Straße entlang. Der Asphalt ist weniger gnädig zu unseren geschundenen Füßen, als der weiche Waldboden, der Verkehr verdichtet sich und der Geräuschpegel wird stetig höher. Als wir uns schließlich bei einem kühlen Bier am Hafen von Porto Vecchio wieder entspannen können, sind wir uns einig, dass unsere erste Wandertour doch recht erfolgreich war. Und ganz bestimmt nicht die letzte.

Infos

In den meisten Wanderführern führt die Tour von Porto-Vecchio nach Propriano. Wir sind die Tour andersherum gelaufen, wofür die kleine gestrichelte Linie verantwortlich war, die bei Google Maps direkt von Porto Vecchio nach Civitavecchia, dem Hafen von Rom, führt. Der Gabelflug Stuttgart-Figari/ Rom-Stuttgart – jeweils mit Zwischenstop in Paris – war verlockend günstig, die direkte Fährverbindung von Korsika nach Rom ist mittlerweile jedoch eingestellt. Unser Rückweg führte uns daher von Bonifacio auf einer 1-stündigen Schifffahrt nach Santa Teresa Gallura auf Sardinien. Dort fährt ein Bus zum Hafen von Olbia, von wo aus man mit der Fähre für 45 Euro p.P. in sieben Stunden auf das italienische Festland übersetzen kann.

Unterkünfte/ Verpflegung:
In den entlang des Wanderweges gelegenen „Gîtes d‘étape“ kann man in einfachen Vier- oder Sechsbettzimmern, für rund 40 Euro p.P. übernachten. Da die Unterkünfte ab Mai relativ gut besucht sind, empfiehlt sich eine Reservierung, für die man meist eine Anzahlung leisten muss. Im Preis inbegriffen ist ein üppiges Abendessen und ein Frühstück. Letzteres beschränkt sich auf Kaffee/ Tee, Baguette, Butter, Marmelade. Es lohnt sich daher, sich für die rund 6- bis 8-stündigen Tagesmärsche in den Lebensmittelläden (épicerie) der Dörfer einzudecken und das bereits morgens und nicht erst beim ersten Zwischenstopp, denn mittags haben diese meist geschlossen und es bleiben nur teure Restaurants, um den Hunger zu stillen.

Mehr zu Korsika unter www.visit-corsica.com/de