Im Prättigau ticken die Uhren anders

Im Norden von Davos gibt es ein ganz spezielles Skitourengebiet

von Steffen Müller

Das Sträßchen schlängelt sich Kehre um Kehre den Berg hinauf. Außer uns ist niemand unterwegs. Oben liegt ein ehemaliges Gasthaus. Auf dem Parkplatz davor steht ein kleiner Kasten, innen liegen ein paar Kuverts -für die Parkgebühren. Man steckt die Parkgebühren hinein und schreibt das Kennzeichen auf – das System muss der Vorgänger der Parkuhr sein, die inzwischen auch schon ausgedient hat.

Kein Mast und keine Stollenbahn

Apropos Uhren. Die ticken in den ruhigen Ecken des Prättigau in Graubünden ohnehin anders. Vor allem die Region kurz vor dem mondänen Davos hat sich ihre Ursprünglichkeit bewahrt. Der ungewöhnliche Parkautomat am Ausgangspunkt der Skitour auf das Jägglisch Horn (2289 Meter) ist nur ein Indiz. Fast noch toller ist das Skigebiet Fideriser Heuberge. An der Talstation auf 900 Meter sind weit und breit keine Liftmasten zu sehen. Auch keine Stollenbahn zieht unterirdisch den Berg hinauf. Die Lösung ist viel einfacher. Wer an der Kasse sein Ticket löst und ein paar Schritte durch das Gebäude der Station gegangen ist, findet dahinter einen allradgetriebenen Kleinbus, der auf die Wintersportler wartet.
Der Sprinter bringt das bunte Völkchen aus Schlittenpiloten, Skifahrern, Spaziergängern und Tourengehern auf einem schmalen, schneebedeckten Forststräßchen Richtung Berg. Schon das ist ein entschleunigendes Erlebnis und ein wunderbarer Kontrast zum Höher, Schneller und Weiter anderer Gebiete. „Die Gegend ist echt und ursprünglich“, sagt Peter Schmid, unser Bergführer von der Alpinschule Allgäu, der die Touren im Prättigau gemeinsam mit der Bergwelt Oberstaufen veranstaltet.

Ganz ohne Spitzkehren-Massaker

Traumhaft sind auch die Tourenmöglichkeiten. Hier können, müssen es aber keine großen Gipfelnamen zum Prahlen sein, man kann sich auch ganz entspannt dem puren Vergnügen auf zwei Brettern hingeben. Weite Hänge, angenehme und panoramareiche Aufstiege ohne Spitzkehren-Massaker und schier endlose Abfahrten warten.
Apropos Spitzkehren: „Meist kann man sich die sparen, wenn man eine ordentliche Aufstiegsspur wählt. Manche Tourengeher pflügen auf Routen in Richtung Gipfel, da denke ich mir, sie wären doch lieber beim Golfen geblieben“, sagt Peter Schmid und grinst beim Anblick der Gruppe, die vor uns den Hang hinaufstolpert. Der Westallgäuer kennt nicht nur den richtigen Weg nach oben, sondern auch die besten Abfahrten in der Region. Davon hat diese Tour jede Menge zu bieten. Nach der Auffahrt mit dem Kleinbus gönnen wir uns noch eine kleine Schlepplift-Passage. Danach entspannte 15 Minuten mit Fellen bergauf, um vom Sattel rechts des Hoch Ställi (2252 Meter) unsere ersten Spuren auf breiten Hängen in den Tiefschnee zu ziehen – das waren die ersten knapp 400 Abfahrtshöhenmeter.

Ein Riese auf den zweiten Blick

Der Blick geht zurück auf die Spuren im jetzt nicht mehr ganz jungfräulichen Schnee und die Felle wandern wieder auf die Bretter. Erst geht es höhengleich mit wunderbarer Aussicht auf das Madrisahorn (2826 Meter), Sulz- (2817 Meter) und Druhsenfluh (2727 Meter) und weitere Gipfel des Rätikon, ehe wir rechts zum Gipfel des Giraspitz (2185 Meter) abbiegen. Der Berg ist auf den ersten Blick nicht sehr beeindruckend, wohl aber die Aussicht auf die umliegenden Gipfel. Nach einer sonnigen Rast warten satte 1400 Meter Abfahrt bis hinunter nach Küblis. Schmid hat die Abfahrt schon oft gemacht und stürzt sich trotzdem – oder gerade deswegen – mit einem Satz ins pure Vergnügen.
Erst relativ steil, dann weit und breit, dann spielerisch durch den Wald.
Nach 900 Höhenmetern brennen garantiert die Oberschenkel und im Gesicht verkrampfen sich die Muskeln vom Dauergrinsen. Hierzulande hätte das Grinsen leicht mit Zornesröte im Gesicht an einem Zaun enden können – die Route führt nämlich durch ein Wildschutzgebiet. Dass es auch elegantere Lösungen gibt zeigen die Graubündner: „Man hat einfach eine Schneise für die Tourengeher frei gehalten. So kommen alle auf ihre Kosten“, sagt Peter Schmid. Weiter geht es über Almwiesen und auf den letzten Metern über die saftig sulzige Piste. Wir befinden uns mittlerweile nur noch auf gut 800 Meter – und an diesem sonnigen Märztag schon mitten im Frühling.  
Höhepunkte gibt es bei den Touren der Bergwelt Oberstaufen und der Alpinschule Allgäu im Prättigau nicht nur auf dem Berg, sondern auch beim abendlichen Menü. Stützpunkt ist der Landgasthof Sommerfeld. Der überzeugt mit gemütlicher Atmosphäre und exzellenter regionaler Küche. Die Empfehlung im Guide Michelin sowie 14 Punkte im Gault Millau sorgen dafür, dass man sich auf äußerst angenehme Art die zuvor verbrauchte Energie wieder zuführen kann – um tags darauf die nächste Tour in Angriff zu nehmen.
Die führt dann zum Beispiel auf besagtes Jägglisch Horn (2289 Meter) - den Gipfel mit der ungewöhnlichen Parkraum-Bewirtschaftung am Ausgangspunkt. Der Aufstieg - diesmal ganz ohne Aufstiegshilfen - ist etwas schweißtreibender wie bei der Tour in den Heubergen, das Gipfelpanorama und die Abfahrt durch abwechslungsreiches Gelände sind die verbrauchten Kalorien aber allemal wert.
Die Tourenmöglichkeiten sind nahezu unerschöpflich.
Auch jene, die zwischendurch einen reinen Freeridetag einlegen wollen, werden in den kleinen Gebieten - und natürlich in Davos/Klosters - fündig.