Die große Keule ist das falsche Werkzeug

Kommentar zu Reisewarnungen

von Steffen Müller

Reisewarnungen: Urlaub machen ist in diesen Tagen nicht ganz einfach. Aus unseren ursprünglich geplanten zwei Wochen Frankreich wird wegen galoppierender Corona-Zahlen kurzfristig ein Trip nach Kärnten, Slowenien und Italien. Einen Tag vor der Rückreise die Nachricht, dass nach Wien auch die österreichischen Bundesländer Vorarlberg und schließlich Tirol zu Corona-Risikogebieten erklärt werden. In dem Fall ohne Auswirkungen für uns. Die Durchreise ist ohne Konsequenzen möglich.


All jene, die während der vergangenen Tage durch die Tiroler oder Vorarlberger Gebirgslandschaft wanderten, statt durch die in Südtirol, Kärnten und Slowenien wie wir, haben weniger Glück und müssen Test und Quarantäne über sich ergehen lassen – auch wenn sie während ihres Aufenthalts in den Bergen nur fünf Kühen, drei Kletterern und einem einsamen Hüttenwirt begegnet sind. 


Richtig skurril wird die Sache, wenn man sich das Infektionsgeschehen bei unseren Nachbarn genauer anschaut. Zwar gibt es in größeren Städten teils höhere Zahlen, die klassischen Urlaubstäler sind aber kaum von der Pandemie betroffen. Osttirol ist praktisch frei von Corona, das Kleinwalsertal*, die Vorarlberger Exklave südlich von Oberstdorf, komplett. Touristen, Betriebe vor Ort und die Arbeitgeber in Deutschland werden von der Risikogebiets-Keule aus dem fernen Berlin trotzdem voll erwischt: Die einen müssen in Quarantäne, den anderen fehlen die Gäste und Letztere müssen temporär auf ihre Mitarbeiter verzichten. 


Weshalb bleibt schleierhaft. Nur weil manch ein Politiker gebetsmühlenartig wiederholt, dass Urlaub in Deutschland sicherer sei als im Ausland, wird es nicht weniger falsch. Richtig ist und bleibt: Maske, Abstand und gesunder Menschenverstand schützen. Undifferenzierte Reisewarnungen wie diese sind nichts anderes als der Nachfolger der verunglückten Grenzschließungen zu Beginn der Pandemie. Sie hinterlassen bei den europäischen Nachbarn einen faden Beigeschmack und spielen den Gegnern der ansonsten völlig gerechtfertigten Corona-Maßnahmen voll in die Karten.

*Hinweis: Seit Freitag, 2. Oktober, sind das Kleinwalsertal (Vorarlberg) und Jungholz (Tirol) von der Reisewarnung ausgenommen.