"Der Brenner wurde zu einem Symbol des freien Kontinents"

Interview: Der Schriftsteller Lenz Koppelstätter über seinen Kriminalroman "Nachts am Brenner"

von Tim Schweiker

Wie sind Sie auf den Brenner als Schauplatz gekommen? Welchen Bezug haben Sie selbst zum Brenner?

Lenz Koppelstätter: "Als Südtiroler kenne ich den Brenner seit immer schon. Ich habe dunkle, gefährlich erscheinende Kindheitserinnerungen an ihn. Lange Autoschlangen, Passkontrolle, Polizei mit Maschinengewehren. Als mit der Vereinigung Europas die Brennergrenze sich öffnete, war das für uns Südtiroler ein befreiendes Gefühl. Der Brenner wurde zu einem Symbol eines freien Kontinents. Nun, da innerhalb Europas wieder über Grenzen nachgedacht wird, zeigt sich, auf welch’ dünnem Eis die Idee unseres Zusammenlebens steht. Wenn ich heute über den Brenner fahre, denke ich jedes Mal daran, wie wenig wir dieses demokratische und friedliche Europa eigentlich schätzen, wie fahrlässig wir das als Selbstverständlichkeit ansehen."


„Nachts am Brenner“ schaut in ein dunkles Kapitel der Südtiroler Geschichte, die Zeit während und nach dem Zweiten Weltkrieg. Wie wird das Buch in Südtirol aufgenommen?


Lenz Koppelstätter: "Ich habe bislang nur positive Rückmeldungen erfahren. Der Krimi kommt ja nicht mit dem erhobenen Zeigefinger daher. Ich denke, es ist mir schon gelungen, jede der Figuren in ihrer Vielschichtigkeit abzubilden, so, wie Menschen eben auch im echten Leben sind. Aber sicher, in Südtirol, wie auch in Österreich wurde die Zeit des Nationalsozialismus bei weitem nicht so grundlegend aufgearbeitet wie in Deutschland. Man hat sich in der Gesamtheit als Opfer stilisiert, wobei es doch beides gab, Opfer und Täter. Das ist manchmal heute noch spürbar. "


Der Südtiroler Grauner und zugezogene Neapolitaner Saltapepe sind zwei ziemlich gegensätzliche Typen, raufen sich aber mehr und mehr zusammen. Stehen die beiden damit auch für das nicht immer ganz reibungslose Zusammenleben in Südtirol?


Lenz Koppelstätter: "Das Zusammenleben zwischen italienischsprachigen und deutschsprachigen Südtirolern empfinde ich im Jahr 2018 als relativ reibungslos. Man ist sich nicht mehr so fremd. Aber die Angst vor dem Fremden ist nicht weg, nur trifft sie heute andere. Das Zusammentreffen von Commissario Grauner und Ispettore Saltapepe zeigt ja, wenn man das jetzt soziologisch deuten will, wie Angst verschwindet. Indem man sich kennenlernt. Die beiden sind oberflächlich gesehen in manchem grundverschieden, sie merken aber doch immer wieder, viel viele Gemeinsamkeiten tief in ihnen stecken. Nehmen wir nur das Essen: der eine liebt Knödel, der andere Pasta und Pizza, der eine isst um Punkt zwölf, der andere niemals vor eins. Und doch eint sie beides Eines und darauf kommt es an: Der Genuss! Die Lebensfreude!"


Südtirol gehört jetzt seit 100 Jahren zu Italien. Vor einiger Zeit wurden die Stimmen mal wieder lauter, die für eine Trennung waren. Wie schätzen Sie die Stimmung momentan ein? Und wo stehen Sie in dieser Dauerdebatte?

Lenz Koppelstätter: "Man darf die am lautesten Schreienden nicht mit der Mehrheit verwechseln. Die meisten Südtiroler leben gerne in dieser bereichernden Region zweier Kulturen. Ich bin nicht Österreicher, war es nie. Vor hundert Jahren gab’s mich noch nicht. Ich bin Südtiroler mit italienischem Pass in einem – so wünsche ich mir – politisch Schrittchen für Schrittchen weiter zusammenwachsenden Europa. Ich kann morgen nach Wien reisen, ich kann in Berlin arbeiten, ich kann in Paris leben. Ich denke, wir müssen uns immer wieder viel intensiver ins Gewissen rufen, dass das bis vor wenigen menschheitsgeschichtlichen Augenblicken alles noch nicht so war. Wir müssen kapieren, dass die Art, wie wir heute leben, keine Selbstverständlichkeit ist."


Sie haben in Berlin gelebt und sind jetzt wieder zurück in Bozen. Warum?


Lenz Koppelstätter: "Ich habe Berlin geliebt und gehasst und in diesem Gefühlsmix habe ich es genossen, über zehn Jahre in dieser spannenden Stadt zu leben. Aber mir war auch bewusst, dass ich nicht für immer in Berlin bleiben will. Ich hatte wieder Lust auf meine Heimat. Auf die Berge. Auf den Mix aus Südtiroler Kultur und italienischem Flair, aus Tradition und Kosmopolitismus. Auf ein weltoffenes Südtirol, das Südtirol der Sternenküche, der modernen Alpenarchitektur. Das alles genieße ich jetzt hier sehr. Mal schauen, wie lange."


Manche Autoren lesen nicht gerne selbst aus Ihren Büchern. Wie geht’s Ihnen damit?

Lenz Koppelstätter: "Ich muss gestehen, es kostet mich immer wieder Mut. Lesen ist nicht mein Terrain. Im Schreiben fühle ich mich wohler. Ich habe jedes Mal Sorge, das Publikum zu langweilen. Ich gebe immer mein Bestes, aber der liebste Moment, ist mir der danach, wenn die Anspannung weg ist und mir jemand ein Glas Rotwein in die Hand drückt."

Infos

Lenz Koppelstätter ist Kriminalschriftsteller, Reporter für Geo Saison, Geo Special und Salon, Kolumnist, Kommunikationsberater und Medienentwickler. Er hat in Bologna und Berlin Politik und Sozialwissenschaften studiert und in München die Deutsche Journalistenschule besucht. Über zehn Jahre lang arbeitete er in der deutschen Hauptstadt für überregionale Zeitungen und Magazine. Heute lebt er wieder in Südtirol, wo er geboren und aufgewachsen ist. 

Mehr zu ihm und zu seinen Büchern auf http://lenzkoppelstaetter.net