„Kein Morgen und kein Gestern mehr“

Nina Ruhland und ihr Buch über den Fernwanderweg E5

von Annette Nüßle

Der Europäische Fernwanderweg E5 durchläuft mit seinen 3200 Kilometern fünf Länder, unzählige Landschaften und gilt mit zu den bekanntesten Fernwanderwegen.
Die Variante zwischen Oberstdorf und Meran gilt als eine der schönsten, aber auch anspruchsvollsten.
Wanderin Nina Ruhland kennt diesen alpinen Wanderweg, der eine gute Trittsicherheit und Wandererfahrung voraussetzt aus eigener Erfahrung und aus der Sicht der Bergwanderführerin.
Sie hat gemeinsam mit dem Fotografen Christoph Jorda eine Hommage an die rund 80 Kilometer Wegstrecken, an die Menschen, die dort leben, an die Landschaften und Berge, aber auch an die Wanderer, die sich auf den Weg über die Alpen gemacht haben, verfasst.

Was waren Ihre ersten Begegnungen mit diesem Teil des Fernwanderweges?
Nina Ruhland: „Ich bin den Weg vom Bodensee bis nach Verona vor zehn Jahren mit einer Freundin gewandert, damals auch mit der Variante über Meran. Vier Wochen waren wir unterwegs. Schon bei dieser ersten Begegnung hat mich der Weg berührt. Die anderen Wanderer, die Hüttenwirte, die Taxifahrer, die Älpler, dazu dieser abwechslungsreiche Weg und die Natur – all das hat sich bei mir auf die Festplatte gebrannt. Seitdem kehre ich immer wieder zurück. Privat und als Bergwanderführerin mit Gästen.“

Sie selbst kommen ursprünglich aus dem Norden. Was fasziniert Sie an den Bergen?
Nina Ruhland: „Ich war schon als Kind mit meinen Eltern in den Bergen unterwegs. Nichts Wildes oder Schwieriges, aber damals wurde wohl der Grundstein für die Liebe zur Natur und für das Unterwegssein gelegt. Natürlich kann man überall wandern, auch an der Nordsee, im Mittelgebirge, sogar im Ruhrgebiet. Aber in den Bergen ist es am prägendsten, finde ich. Am Start der Tour steht man unten, muss den Kopf in den Nacken legen, um das Ziel zu sehen – oder sieht es sogar noch gar nicht. Manchmal kommen da Zweifel auf: ‚Schaffe ich das heute?‘ Und dann geht man los, Schritt für Schritt. In den Bergen bin ich ganz im Hier und Jetzt. Da gibt’s kein Morgen und kein Gestern mehr. Kein nerviges Multi-Tasking, sondern einfach konzentriertes und entspanntes Gehen.“

Als Bergwanderführerin haben Sie schon mehrmals Menschen auf ihrem Weg nach Meran begleitet. Was macht den Reiz aus?
Nina Ruhland: „Es ist immer wieder spannend, wenn ich die Gäste in Oberstdorf am ersten Tag begrüße, in ihre Gesichter schaue. Da sehe ich ganz viel Vorfreude, aber auch Unsicherheit, vielleicht gar Angst vor dem, was da vor ihnen liegt. Viele sind in Gedanken noch voll beim Job oder der Familie daheim. Es dauert eine Weile, bis sie sich einlassen auf die Tour, auf die Natur. Aber dann ist es wunderbar zu sehen, wie sie sich öffnen. Wie sie zur Ruhe kommen, endlich mal wieder Zeit haben, über sich und das Leben nachzudenken. Tatsächlich kommt es oft vor, dass auf dem Weg oder abends auf den Hütten die ganz großen Lebensfragen auf den Tisch kommen. Und bei der Ankunft in Meran, bzw. am Vernagt Stausee, fließt dann die ein oder andere Träne. Aus Stolz, aus Erleichterung, aus purem Glück. Es ist einfach schön, bei diesem Prozess dabei sein zu dürfen und die Gäste begleiten zu dürfen. Ihnen zu zeigen, warum ich diesen Weg so sehr mag. Ihnen aber auch klar zu machen, wer dort nichts zu suchen hat und welche Vorbereitungen notwendig sind.

Im Buch kommen die Hüttenwirte der einzelnen Etappen zu Wort. Was hat Sie an diesen Menschen  fasziniert?
Nina Ruhland: „Die Hüttenwirte am E5 sind großartig. Was die während der Saison mit ihren Teams leisten, ist schier unglaublich. Denn so romantisch, wie sich mancher Tourist den Job vorstellt, ist es nicht. Da heißt es von morgens 4 Uhr bis kurz vor Mitternacht Vollgas. Und alle versuchen selbst im größten Trubel auf den einzelnen Gast einzugehen und seine Wünsche zu erfüllen. Allerdings war es für den Fotografen Christoph Jorda und mich erschreckend, wie unverschämt der ein oder andere Besucher ist. Der Anspruch, dass es WLAN und heiße Duschen nonstop gibt, ist da noch der harmloseste.“

Was geben Sie denen mit auf den Weg, die sich auf den Weg über die Alpen machen?
Nina Ruhland: „Begegne den Bergen und den Menschen stets mit Respekt. Höre auf das, was die Einheimischen dir über Wetter, Gehzeiten, Gefahren sagen. Bereite dich gut vor auf dieses Abenteuer und schätze dein Können realistisch ein. Öffne Augen und Herz und du wirst merken, dass der E5 eine riesige Pralinenschachtel ist, die für jeden etwas bereit hält.“

Infos

Nina Ruhland ist geboren und aufgewachsen im Ruhrgebiet. Nach mehreren Praktikas und einem abgeschlossenen Studium der Politikwissenschaft, Kommunikationswissenschaft und Soziologie an der WWU Münster, Redakteurin und stv. Ressortleiterin bei verschiedenen Print-Magazinen, seit 2012 freiberufliche Journalistin, Autorin und VDBS-geprüfte Bergwanderführerin.

Nina Ruhland, Christoph Jorda
Traum und Abenteuer - Der E5 Bruckmann Verlag
ISBN-13: 978-3-7343-1084-3, Preis: 39,99 €