Balance am Berg und im Leben

Alexander Huber - Profialpinist und Diplomphysiker, Bergbauer und Schafzüchter

von Agathe Paglia

Eigentlich wollte Alexander Huber Medizin studieren. Doch bereits als Zivi und später als ausgebildeter Rettungssanitäter erkannte er, dass die Arbeitsbedingungen für Ärzte und Pflegekräfte an Kliniken wenig Spielraum für seine alpinen Ambitionen lassen würden.

So entschied er sich für den Studiengang Physik. Das liegt auch nahe für einen Weltklassekletterer. Schließlich erforschte der heute 51-Jährige an blanken Felswänden bis zum XI. Grad neben seinen eigenen Grenzen regelmäßig die physikalischen Gesetzmäßigkeiten der Natur. Er schloss das Studium mit dem Diplom ab. Nur mit halbem Herzen und halber Kraft bis zum Doktortitel weiterzumachen, ging nicht. Genau wie beim Klettern an der Weltspitze, zu der er ab den Neunzigerjahren zählte.

Free Solo zum Kletter-Olymp

Mit dem Klettern angefangen hat Alexander Huber mit 13. Das war damals selbst für einen Berchtesgadener ungewöhnlich früh. In den Siebziger- und Achtzigerjahren war es unüblich, fast verpönt, Kinder in die Berge mitzunehmen. Heutzutage hangeln sich schon Dreijährige durch speziell angelegte Klettergärten und Jugendliche bouldern an künstlichen Wänden in großen Hallen.Ein Trend, den die Huberbuam durch ihre Erfolge mit ausgelöst haben. Sie selbst aber gingen sofort alpin klettern, mit dem Seil um die Brust und gesichert vom Chef, wie Alexander seinen Vater betitelt. Bald konnte keiner der Buam mehr ohne Bergsteigen und Klettern sein.

Doch könnte man auch davon leben? Thomas und er träumten zwar davon, der allgemeine Tenor in der Szene allerdings war, dass die Zeit der alpinen Höhenflüge vorbei sei. „Der Messner hot doch scho alles gmacht, was könnts ihr zwoi do no reißn“, erinnert sich Alexander an diese und ähnliche Äußerungen. Doch die Brüder sahen noch ein riesiges, unbestelltes Feld bei den unwegsamen, schwierigen Routen, an die sich noch keiner gewagt hatte. Genau diese Extreme suchten die Huber-Brüder als Teil der Generation »Without Limits«, angetrieben von vielen findigen Ideen und einem großen Potenzial und Willen, sich weiterzuentwickeln. „Den Horizont musst halt sehn‘ und wir sind drauf zugegangen und haben‘s halt gmacht, fertig“, erinnert sich Alexander.

„Halt gmacht“ hat er 2007 die 1.000 Meter lange »Nose« am El Capitan im Yosemite Gebirge in 2 Stunden und 45 Minuten. Das war damals Rekord, die schnellste Begehung. In freier Kletterei eröffneten die Huberbuam »El Niño«, »Freerider«, »Golden Gate«, »El Corazón« oder »Zodiac«. Mit der Erstbegehung der »Eternal Flame« (IX+) am Nameless Tower im Karakorum oder der Route »Weiße Rose« (XI +)  am Schleierwasserfall in Tirol kam Alexander Huber endgültig im Kletterolymp an. Free Solo ist die puristischste und ehrlichste Form des Kletterns – und die verwirklichte er an der Direttissima der Großen Zinne in der Nordwand. Ängste bleiben dabei nicht aus, ob im Fels oder abseits davon. Auch Alexander Huber hatte seine Krisen. Sie waren weit mehr als Durchhänger. Nicht umsonst unterstützt er seit vielen Jahren die Deutsche Angstselbsthilfegesellschaft und ist Botschafter für den Bayerischen Krisendienst Psychiatrie. Das betont er ernst, um sofort wieder die Schwere aus dem Moment zu nehmen: „Es kann halt net immer olles guat sein, des is menschlich, es geht aa wieder aufwärts, wie am Berg.“

Skizzen versus Autozoom

Nicht nur Berge und Steilwände hat der Berchtesgadener bezwungen, auch das zweitgrößte Loch der Erde: der gigantische »Majlis al-Jinn« in den omanischen Hajar-Bergen. In den riesigen, unterirdischen Dom seilte sich Alexander über das etwa fünf Meter breite Ausfallfenster 220 Meter in die Tiefe hinab und kletterte an der Domwand wieder hoch. Anspruchsvoll war jede seiner Routen, früher ging nur alles etwas länger, die Vorbereitungen waren aufwändiger. Noch vor zwanzig Jahren habe er tage- und wochenlang in Base Camps verharrt, durchs Fernrohr geschaut und ganze Bücher mit seinen Skizzen gefüllt, um sich die beste Route zu merken.

Er habe notiert, bei welchem Licht sie gut zu sehen war und wann Steinschlag erfolgte. Heute wird alles digital recherchiert. Dabei sieht er vor allem die Masse an Datenmüll kritisch, die ständig produziert und verschickt werde. „Alles, was umsonst ist, ist Mist“, beklagt er. „Würde jede WhatsApp genauso viel Geld kosten wie früher eine SMS, dann würden sich die Leut‘ überlegen, ob sie auf jede Message mit einem Smiley oder Däumchen antworten.“ Auf Instagram ist er aktiv, es helfe ja nichts, entschuldigt er, aber geheuer sei ihm der Kraken Internet nicht. Und glücklich darüber, dass seine Bilder dort leicht und kostenfrei kopiert werden können, sei er natürlich auch nicht.

Daunen für die Atmosphäre

Die Summe aller Seillängen oder Höhenmeter, die er je begangen hat, kennt Alexander Huber nicht. Das ist ihm nicht wichtig. Masse ist ihm nur im physikalischen Sinn wichtig. Er weiß nur, dass er summa summarum immer noch die meiste Zeit in den Bergen verbringt. Mit den Jahren habe er mehr und mehr Freude daran, seine Leidenschaft und seine Erfahrungen mit anderen Menschen zu teilen. Das kann er als Berg- und Skiführer sehr exklusiv für wenige Personen. Effektiver und lukrativer vermittelt er beides auf seinen Vortragsreihen. Sie führen ihn nach Berlin, Stuttgart, aber auch nach Kopenhagen, Paris oder Genf. Davon lebt er hauptsächlich. 2018 war er mehr als 50.000 Kilometer unterwegs – alle mit dem Zug. In seinem privaten Umfeld ist er fast ausschließlich mit dem E-Bike unterwegs. Lediglich für manche seiner Expeditionen fliegt er und entrichtet seinen Obolus an die Atmosphäre. Er staunt heute noch, dass die Kompensation für seine Reise nach Peru vor zwei Jahren gerade mal 178 Euro gekostet hat. Er hätte mehr bezahlt.

Als Alpinist sieht er schließlich die Folgen der Klimaerwärmung an jedem Gletscher. Als Physiker kann er sie sogar erklären: „Co2 ist wie ein Daunenmantel für die Erde, es hält die Wärme zurück.“ Dass die Freisetzung der Treibhausgase durch die Verbrennung fossiler Energien nur ganz schwer wieder rückgängig gemacht und sie wieder unter die Oberfläche gebracht werden können, weiß er. Doch es sei möglich. Kohlendioxid aus der Atmosphäre zu fischen, darin sieht er die große Herausforderung für die nächsten Generationen, um noch krasserem Klimawechseln vorzubeugen.

Von Spezln und Schneesturmvögeln

Auf die Frage nach dem Verrücktesten, das er jemals erklettert habe, nennt er die »Nunataks« in der Antarktis. So nennen die Inuit die riesigen Felsinseln, die auch in ihrer Heimat Grönland mitten im Eismeer wie Raketen aufragen. 2008 starteten die Brüder gemeinsam mit dem Schweizer Alpinisten Stephan Siegrist und ihrem Spezl Max Reichel zur »Expedition Antartica«. Ein Versorgungsflieger setzte sie bei 50 Grad Celsius unter Null vor den steinernen Wegweisern mitten im Nirgendwo aus und holte sie dort sechs Wochen später wieder ab. Sie kletterten mit Handschuhen und Bergstiefeln und hofften jeden Tag auf Windstille.

Der Wind sorgt schnell für Erfrierungen. Sie kampierten mitten im Berg. „Genau wie der Schneesturmvogel, eines der faszinierendsten Lebewesen überhaupt“, findet Alexander und erzählt beeindruckt, dass diese Vögel zum Füttern ihrer Küken 1.000 Kilometer zur Küste und wieder zurück fliegen, um sie in den »Nunataks« sicher vor Raubmöwen aufziehen zu können. Spezialist in den Extremen und Familienmensch, darin gleichen sich der Schneesturmvogel und Alexander Huber, der mit seiner Familie einen Bergbauernhof bei Berchtesgaden bewirtschaftet.

Regenerieren im eigenen Wald

Das einfache Leben zu Hause war und ist für den charismatischen Oberbayer mit dem festen Blick die beste Regeneration. Er züchtet Schafe, vielmehr die Lämmer. Zehn Muttertiere besitzt er. Um Schafskäse zu produzieren, fehlen ihm Zeit und Disziplin, meint er. Zumindest noch. Er liebt die wohlige Balance und genießt es, im Wald zu arbeiten. Lärchen, Tannen, Kiefern, Fichten und Eiben, aber auch Laubhölzer wie Buchen, Berg- und Spitzahorn, Stieleichen, Sommerlinden, Bergulmen, Birken, Vogelbeere, Espen, Grauerlen, Weißdorn, Mehlbeere und einige wenige resistente Eschen stehen in seinem Bergmischwald. Der Wald liefert das Holz, mit dem er sein Haus beheizt. Strom erzeugt er über Sonnenenergie.

Dass er mit Anfang 50 nicht mehr jede Tour gehen kann, weil ihm die Physis der Jugend fehlt, dessen ist sich der bodenständige Berchtesgadener genauso bewusst wie der Tatsache, dass kein Rekord für ewig hält, auch nicht die seinen. Die Wachablösung ist längst am Start. Vom tschechischen Sportkletterer Adam Ondra schwärmt Huber geradezu – für ihn ein Ausnahmetalent, eine eigene Liga. Er selbst will es halten wie sein Vater, Thomas Huber Senior, der mit 80 Jahren immer noch klettert, und „net am Klettersteig, scho richtig, scho Berge“. Das Klettern werde auch für ihn immer dazugehören, weiß er. Sei es an seinem Hausfelsen um die Ecke, am Barmstein, oder auf Expeditionen, die möglicherwiese noch kommen. Sein Ideenreichtum hat Alexander Huber schließlich schon immer ausgezeichnet. Außerdem gehört er zur Generation »Without Limits«. Fertig.

Infos

Das denkt Alexander Huber über ...

Bergtourismus

„Davon leben die Leut‘ bei mir daheim.“

Karibik

„Zu heiß zum Klettern.“

Lieblingsmusik

„Aktuell Manu Chao.“  

Deine perfekte Auszeit

„Waldarbeit.“

Heimat

„Do geht’s mir guat.“

Politik

„Mühsam, Probleme werden ständig verschoben“.

Fridays for Future

„Verstehe ich, ich teile ihre Sorgen.“

 

Zur Person

Alexander Huber wurde am 30. Dezember 1968 im Bayerischen Trostberg geboren. Er ist der Jüngere der Huberbuam. Seit Anfang der 90er Jahre zählt er zu den besten Kletterern weltweit.