Die ganze Pracht der Dolomiten

Geheimtipps und Klassiker im Val di Fassa

von Steffen Müller

Vorsichtig geht der Blick über die Geländekante. Links und rechts ragen die Felsen steil empor, dazwischen zieht ein weißes Band nach unten und verschwindet im Nichts. Es hilft auch nicht, dass man die Rinne am Col Alton auf dem Weg vom Sass Pordoi zum Einstieg bereits eine ganze Weile in voller Pracht bewundern konnte. Im Gegenteil. Wenn die Scharte kurz hinter der Bergstation der Pordoi-Seilbahn zum ersten Mal auftaucht, ist es schwer vorstellbar, dass sie befahrbar ist. Die Sonne hat sich noch nicht durch die Wolken gekämpft, die Flanke des Piz Boè sieht abweisend aus und an ihrer Seite befindet sich das steile Couloir.

Perfekte Verhältnisse

Gut, dass Bergführer Antonio Bonet weiß, was er tut. Er ist nicht nur aus der Region und kennt die Dolomiten aus dem Effeff, er ist auch für die Einschätzung der Lawinengefahr in diesem Sektor zuständig. Langsam tastet er sich vor. Nach den ersten Schwüngen ist klar: der Schnee ist perfekt. 15 Zentimeter Powder auf komprimiertem Untergrund. Das Panorama ist einmalig, besonders weil sich jetzt die Sonne zeigt. Doch die schmale Rinne fordert volle Konzentration – und macht so viel Spaß, dass man ohnehin alles andere vergisst: „Das haben wir optimal erwischt“, sagt Bonet. Und darauf kommt es an.
Erfahrene Skifahrer können die Rinne bei ordentlichen Verhältnissen gut bewältigen. Diese Verhältnisse sollte man aber sicher beurteilen können, bevor man sich ins steile Vergnügen stürzt. Apropos stürzen, das sollte man im Canale Col Alton besser nicht. Bei rund 40 Grad und schroffen Felsen auf beiden Seiten, ist Kontrolle alles und jeder Stolperer ein Risiko.

Der Spaß geht weiter

Unten angekommen geht der Spaß weiter. Ab hier wird es etwas gemütlicher und im wunderschöne Val Lasties – an sich schon ein Klassiker - werden die Hänge weiter, die Radien größer und das Tempo höher. Mit Unterstützung der Pordoi-Seilbahn gelangt man auf Tourenski in gut 40 Minuten zum Einstieg. Es sind nicht einmal 200 Höhenmeter, die gesparte Kraft in den Oberschenkeln kann man bei der Abfahrt gut gebrauchen. Vorbei am Auslauf der Holzer-Rinne – die ist wirklich nur etwas für erfahrene Alpinisten – geht es durch die bizarren Dolomiten-Landschaften in Richtung Tal. Völlig ungestört von Liftanlagen. An der Passstraße wartet die Zivilisation und Terrasse des Ristorante Pian Schiavaneis auf hungrige Freerider – absolut empfehlenswert.
Wer jetzt noch nicht genug hat, der kann sich an der bekannten Pordoi-Scharte versuchen. Hierzu geht von der Passstraße über einen Ziehweg ins Skigebiet und mit Liftunterstützung wieder zurück zur Passhöhe. Hier nimmt man einfach die Pordoi-Seilbahn und fährt Richtung Talstation ab. Durch den einfachen Zugang und die weniger steile und enge Abfahrt, ist der Schnee hier allerdings oft zerfahren und man hat es mit einer Buckelpiste, Eis oder beidem auf einmal zu tun. Erwischt man gute Verhältnisse, ist die Abfahrt ein echter Genuss. Selbstverständlich eignet sich die Pordoischarte auch zum Warmfahren vor dem Canale Col Alton.
Neben dem Val Lasties und der Pordoischarte ist die Bergstation der Pordoi-Seilbahn auch Ausgangspunkt für die Tour durch das Mittagstal nach Kolfuschg. Auch hier geht man zunächst vorbei an der Pordoihütte Richtung Boè-Hütte, orientiert sich dann aber nordöstlich.

Vom Talnebel an den Rand des Gletschers

Das Fassatal hat natürlich noch viel mehr zu bieten – zum Beispiel die faszinierende Skitour auf die Marmolada. Hierzu steigt man am besten vom Stausee am Passo Fedaia bis zum Rifugio Pian die Fiacconi auf. Ab Mitte März gelangt man übrigens auch mit der ungewöhnlichen Korbseilbahn zur Hütte. Eine Übernachtung im urigen Rifugio von Guido Trevisan auf 2662 Meter Höhe lohnt sich allemal. Allein schon wegen des Sonnenunter- und Aufgangs mit Blick auf den Sellastock und die Langkofel-Gruppe – und wegen des rustikal-leckeren Essens. Guido Trevisan wuchs übrigens im Flachland auf: „Es hatte dort ständig Nebel. Wenn nicht, konnte man Kilometer weit über die Ebene schauen. Das fand ich schon immer langweilig. Deshalb hat es mich hier auf die Hütte gezogen.“ Zu dieser Entscheidung kann man Trevisan nur gratulieren. Mehr Kontrast zum flachen Land kann man sich kaum vorstellen, als hier umringt von der Dolomiten-Prominenz.

Vom Canyon zum Stausee

Von der Hütte führt der Weg weiter in Richtung Marmolada-Gletscher und hinauf bis zur Punta Roca (3247 Meter). Oben ist die Einsamkeit wegen der dortigen Seilbahn-Gipfelstation zwar vorbei, die Tour nach oben lohnt sich aber allemal. Vor allem, wenn man früh von der Hütte startet. Dann hat man bei der Abfahrt auch noch realistische Chancen, eine frische Spur in der Abfahrt zu erwischen.
Besonders, wenn man einen einheimischen Bergführer wie Antonio Bonet dabei hat. Der findet dann zum Beispiel Schmuckstücke wie den Marmolada-Canyon. Der ist zwar nicht besonders steil, aber besonders schön und bei ausreichender Schneelage gut zu fahren. Von hier geht es vorbei an spannenden Felsformationen hinunter zum Fedaia-Stausee – eine traumhafte und extrem abwechslungsreiche Tour.
Oder aber man wählt die Variante über die Marmolada-Scharte zwischen Piccolo Vernel (3098 Meter) und Punta die Penia (3247 Meter) - beide Gipfel sind nur bei absolut sicheren Verhältnissen zu empfehlen - und fährt dann Richtung Westen durch das Val Contrin bis nach Alba di Canazei ab. 

Infos

Übernachtungstipps

Ein perfekter Ausgangspunkt und eine wunderbare Unterkunft ist das Hotel Col di Lana direkt am Pordoijoch:
Hotel Col di Lana
Strada del Pordoi 132
38032 Canazei, Italien
Tel.: +39 0462 601277
info@coldilana.it
www.coldilana.it


Für Touren rund um die Marmolada bietet sich als Stützpunkt das Rifugio Pian dei Fiacconi an:
Rifugio Pian die Fiacconi
Località Fedaia
38032 Canazei, Italien
Tel.: +39 328 1218738
info@piandeifiacconi.com
www.piandeifiacconi.com
Wer Abends gerne durch die Straßen bummeln will, der findet direkt im quirligen Canazei Unterkünfte für jeden Anspruch und Geldbeutel. Eine gute Übersicht und weitere Tourentipps gibt es unter
www.fassa.com  

Geführte Touren
Für die Freeride-Klassiker der Dolomiten und natürlich auch für die Skitouren in der Region empfehlen wir einen Bergführer. Ortskundige Guides gibt es zum Beispiel hier:  www.guidealpinedolomiti.net
Weitere Bergführer aus der Region unter
www.fassa.com/de/bergfuehrer-und-bergbegleiter/