Bikepacking ist aktuell das ganz große Ding. Völlig zurecht. Für mich gibt es keine schönere Art zu reisen – und mit den stabilen Gravelbikes samt minimalistisch leichter und aerodynamischer Taschen ist man auch noch schnell unterwegs.
Die puristische Nacht im Zelt ist dagegen nicht jedermanns Geschmack – ebenso wenig wie sich wiederholende Campingküche mit Nudeln und Fertig-Pesto. Die Lösung heißt Bikepacking deluxe. Landschaftlich ohne Abstrichte, vielleicht mit einem Tick weniger Abenteuer, dafür mit Komfort an der richtigen Stelle - mit einer Tour von Hotel zu Hotel. Eine Runde für Weicheier? Keineswegs – dafür sorgt schon Ex-Profifahrerin Elena Valentini als Guide. Die mehrfache italienische Meisterin, Giro-Teilnehmerin und exzellente Radcrosserin aus Bozen, lotst uns durch ihre wunderschöne Heimat, durch schöne Städtchen, über Pässe, schnelle Gravel-Passagen und ein paar knifflige Trails, auf denen zwischendurch zumindest für uns schieben angesagt ist.
Also: keine Kaffeefahrt, trotzdem leben wir wie Gott in Südtirol. Statt Nächten auf der Isomatte und Gaskocher-Nahrung gibt es wunderbare Menüs, ein gutes Glas Wein, angenehme Nächte und Wäscheservice in drei der BikeHotels Südtirol.
Eitel Sonnenschein - bis auf das Wetter
Wir sind unterwegs auf Asphalt, Schotter und Singletrails, auf flachen Flussradwegen, kilometerlangen Pässen und steilen Rampen. Mit Gepäck, Bio-Bikes und – eher untypisch für Südtirol um den 1. Mai – Regen, Graupel, Schnee, Wind und eher wenig Sonne. So erleben wir die Region und ihre einmaligen Landschaften in einer ganz besonderen Stimmung. .
Die viertägige Rundtour startet mit einer entspannten Einroll-Etappe in Brixen (hierher am besten entspannt mit dem Zug). Wir fahren größtenteils entlang des perfekt ausgebauten Etschtal-Radwegs Richtung Süden. Vorbei an Bozen geht es bis nach Kurtatsch an der Weinstraße. Höhenmeter gibt es praktisch keine - die werden bei falschem Timing und entsprechender Wetterlage aber durch Gegenwind ersetzt. Für ein paar Kilometer ist der stramme Südwind erträglich. Länger möchte man es aber nicht mit ihm zu tun haben. „Es ist gut, wenn man weiß, wann der Wind woher bläst“, sagt Lukas Terzer vom Hotel Terzer in Kurtatasch - unserem ersten Etappenziel.
Dass an diesem Standort Wein und Genuss großgeschrieben werden, versteht sich von selbst. Das Haus atmet aber auch pure Radsport-Begeisterung. Neben uns sitzt beim Abendessen eine Gruppe Rennradfahrer, die ihre Speicher nach einem intensiven Tag im Sattel wieder auffüllen. Geführt wird sie von Ultra-Cyclist Nico Mausch aus dem Ahrtal, der in seinem Radsport-Leben viele Höhen und Tiefen erlebt hat und Chef Lukas Terzer höchst selbst.
Seilbahn oder Muskelkraft
Am nächsten Morgen wartet beim Frühstück Elena Valentini, unser Guide, auf uns - ein freundliches Lächeln auf den Lippen, verbunden mit einem schnellen Scan, mit wem sie es die nächsten Tage zu tun haben wird. Vorab soviel: mit niemandem, der sie konditionell auch nur annähernd an ihre Grenzen bringen wird. „Wir fahren heute über den Mendel- und den Gampenpass, weiter nach Meran, dann noch über den Piccolo Stelvio hinauf nach Naturns“, sagt sie. „Zieht euch warm an, oben könnte es schneien.“
Ben, unserem Fotografen, wird es es direkt heiß statt kalt. Denn 2160 Höhenmeter, die heute auf dem Programm stehen, sind mit Fotoausrüstung, ohne Motor am Rad kein Spaß. „Keine Sorge, du kannst dir mit der Standseilbahn auf den Mendelpass knapp 900 Höhenmeter sparen“, sagt Elena.
Das ist nicht nur in diesem Fall hilfreich, sondern macht das Gravel-Abenteuer auch für leistungsmäßig wenig homogene Gruppen oder Paare zu einem Vergnügen. Die Seilbahnen kann man übrigens mit der Südtirol-Card, die in der Übernachtung inkludiert ist, gratis nutzen. Nur für die Bikes muss teils ein kleiner Aufschlag entrichtet werden. In unserem Fall muss sich der Seilbahn-Nutzer zwar weniger anstrengen, dafür wird er früher Opfer des unangenehmen Wetters. Beim Hochstrampeln machen Wind und Schneeregen zunächst keine Probleme. Oben freuen sich aber alle über einen heißen Kaffee, süßes Gebäck und den Ofen, der in der Ecke der Bar angefeuert wird. Weiter gehts vom 1363 Meter hohen Mendelpass über Unsere liebe Frau im Walde in Richtung Gampen (1518 Meter), von hier lange bergab nach Meran. Hier ist es einen Kittel wärmer, aber an diesem Tag ist es selbst in der von Palmen gesäumten Kurstadt ungemütlich. Erst am Piccolo Stelvio, dem wirklich kleinen Bruder des großen Stilfser Jochs erbarmt sich die Sonne und begleitet uns die restlichen Kilometer bis zum Vitalpina Hotel Schulerhof.
Viel Abwechslung
Dort werden wir warm empfangen - mit Begrüßungsdrink und bestem Service rund um Bike und Kleidung - abgerundet durch ein erstklassiges Abendessen.
Mit frisch gewaschenen Bike-Klamotten führt uns unser Gravelbike-Abenteuer am nächsten Tag von Naturns weiter über Meran - diesmal können wir einen Kaffee im Freien entspannt genießen und nehmen uns eine Stunde Zeit für die wunderschönen Gassen und Plätze. Hinaus aus der Stadt heißt unser nächstes Ziel Jenesien.
Heute sind es 54 Kilometer und 1470 Höhenmeter, wovon wir uns 900 durch die Seilbahn Vöran abnehmen lassen. Alternativ könnte man die teilweise extrem steile Route von Meran über Hafling nach Jenesien wählen (60 Kilometer, 1590 Höhenmeter). Wegen der teils anspruchsvollen Trail-Abschnitte auf der Höhe sind wir aber froh, uns für die entspanntere Variante entschieden zu haben. Die Etappe ist enorm abwechslungsreich. Radwege, Seilbahn, Trails und schnelle Schotter-Passagen. Hier ist alles dabei. Nach der Einsamkeit des Waldes stürzen wir uns auf einer rasanten, steilen und aussichtsreichen Abfahrt hinunter ins pulsierende Bozen. Am Waltherplatz endet die dritte Etappe.
Von der Südtiroler Metropole fahren wir an Tag vier hinauf mit der Bahn nach Oberbozen und panoramareich weiter über Klobenstein und hinab ins Etschtal. Auf dem dortigen Radweg geht es schließlich bis zum Ziel nach Brixen - insgesamt entspannte 45 Kilometer mit 1320 Höhenmetern, die sich mit der Seilbahn Oberbozen um 950 verkürzen lassen. In der Krone in Brixen findet diese etwas andere Südtirol-Reise bei Gastgeber Alexander Resch ihren würdigen, genussvollen Abschluss. Nachmachen dringend empfohlen.
Bilder: Ben Wiesenfarth