Reportage die Pilze wie Pflanzen seiner Heimat zu bestimmen, Spuren zu lesen oder Vogelstimmen zu erraten. Wissen, das er über die Jahre perfektionierte und seit Ende der 1990er-Jahre mit kleinen Gruppen oder Individualreisenden teilt. Arten und Gattungen benennt Vlado in kantigem Deutsch, das der Slowake u.a. von einem Schweden erlernt hat – seinem Mentor, dem Wolfsexperten Erik Zimen. Ebenso die Kenntnisse um die großen Beutegreifer. In der Slowakei leben auf einer Fläche, die etwa so groß wie ein Drittel Bayerns ist, gut 500 Luch- se, 600 Wölfe und 1.200 Braunbären, ler- nen wir. Eine Garantie, die Tiere auf den täglichen Touren mit vielen Höhen- und Distanzmetern zu sehen, gibt es jedoch keine. Die Malá Fatrá sei schließlich kein Zoo, weiß unser Guide. Dennoch: Die Anwesenheit der großen Drei verraten Spuren im matschigen Waldboden, ein „geschriebenes Buch“, wie Vlado es nennt. Kadaver von Beutetieren, Haar- büschel an Baumrinden schreiben es weiter. In Plastikröhrchen sammelt Vlado frische Wolfslosung, stellt Daten seiner Fotofallen online – alles im Diens- te der Wissenschaft, ehrenamtlich und finanziert über seine geführten Touren. Gut 40 Kameras hat er in der Nähe von Kratzbäumen, Nisthöhlen oder Balzplät- zen installiert, nicht ohne im perfekten Aufnahmewinkel die eigene Duftmarke „Trulik73“ zu hinterlassen. So bewegt er Meister Petz und Co., schnüffelnd zu verweilen. Eine Garantie für schöne Auf- nahmen. Aktuelle schauen wir bereits in den Wanderpausen an, archivierte an den Abenden und an die Wand proji- ziert. Wir verlieben uns in eine Bärin, die ihren Nachwuchs säugt, verfolgen mit Schwindelgefühl den Überlebenskampf eines Eichhörnchens, das von einem Marder um ein Stammesrund gejagt wird, oder lachen herzhaft über einen Schwarzspecht, der minutenlang auf das Gehäuse einer Fotofalle einhämmert – bis zu deren Ende. Vielfalt der Ökosysteme Die vielfältige Natur der Malá Fatrá bie- tet noch vielfältigere Lebensräume. An jedem neuen Tag erkunden wir ein an- deres Ökosystem. Am Fuße des Großen Rozsutec, unserem Hausberg, streifen wir durch hüfthohe Naturwiesen vorbei an Über Stege und Leitern durch die Klamm oder entlang sonniger Hänge wandern. Weideflächen von Walachen Schafen, die Fleisch, Wolle und Milch liefern. Letztere ist Basis des slowakischen Weichkäses. Wasserfallreiche Klamme erobern wir über Holzstege, Seile und Leitern, an ausgesetzten Stellen auch über in den Fels geschlagene Ketten oder Steighilfen. Mit Bedacht setzen wir jeden Schritt und blinzeln in eine Natur, die von Sonnen- strahlen inszeniert wird, erklimmen stei- le Wälder, in denen sich Bäume mit ihren Wurzeln in Fels und Erdreich krallen, um bei gutem Stand lotrecht Richtung Son- ne zu wachsen. Ganz anders präsentiert sich die vegetationsfreie Kargheit des Hochgebirges. Auf dessen Kamm sind wir über den Dingen, blicken wie aus einem Adlerhorst über die Hohe Tatra und auf die Hänge der gegenüberliegen- den Gipfel. Was unsere Ferngläser und Kameraobjektive nicht mehr erfassen, observieren wir über Vlados Spektive – sei es ein kapitaler Hirsch in einer Wald- lichtung oder ein junger Bär, der im Hang gegenüber grast. Der zweite Blick Nicht alle Bewohner der Malá Fatrá sind für das ungeschulte Auge erkennbar. „Nur ein absoluter Vollignorant würde an einem kleinblättrigen Stendelwurz vorbeilaufen“. So formuliert leitet Vlado jenen wie weitere botanische Kurzvorträ- ge und Anekdoten ein. Zugegeben: Auch der Fichtenspargel, das Narzissenblütige Windröschen oder das Quirlblättrige Läusekraut wären uns glatt entgangen. Picknick auf der Naturwiese. www.abenteuer-magazine.de | 19