Zwischen spielerisch und störrisch

Abenteuer Alpen ist 32 Paar Ski der Saison 15/16 schon gefahren

von Steffen Müller

Wer als Fachhändler etwas auf sich hält, fährt die Ski, die er ins Angebot nimmt, erst mal selbst. So wie der Sindelfinger Robert Klotz, staatlich geprüfter Skilehrer und Inhaber von Intersport Klotz in Sindelfingen: "Nur so weiß ich wirklich, wovon ich rede, wenn ich einen Kunde berate". Diesmal bekam Klotz Unterstützung aus der AbenteuerAlpen-Redaktion.

32 Paar Ski stehen für die Saison 2015/2016 bereit. Testort im März 2015 ist Oberstdorf im Allgäu. Genauer gesagt das Nebelhorn. Dort gibt es an diesem Wochenende perfekte Bedingungen für die unterschiedlichen Skigattungen. Von steilen Tiefschneehängen über harte, schwarze Pisten bis hin zu breiten Carving-Autobahnen  und nachmittags weichen, schweren Schnee. "Das sind keine ganz einfachen Verhältnisse. Aber so lässt sich am besten testen und vergleichen", sagt der 41-jährige Sindelfinger, dessen Vater bis in die 70er Jahre noch selbst Ski hergestellt hat.

Während später die Oberschenkel vom Fahren brennen, sind es zunächst die Oberarme vom Tragen. Schließlich müssen die Bretter auf den Berg  ein perfektes Aufwärmprogramm. Das Beste kommt gleich am Anfang. 30 Zentimeter Neuschnee hat Frau Holle am Donnerstag über dem Allgäu ausgeschüttet und am Freitag strahlt die Sonne vom wolkenlosen Himmel. "Wir fangen natürlich mit den breiten Freerideski an", sagt Robert Klotz. Alles andere wäre unverzeihlich. Die Hänge abseits der Pisten glitzern verlockend und sind praktisch unberührt  allerdings nicht mehr lange.

Nach einer kurzen Einfahrrunde und dem Check der LVS-Geräte geht es ins Gelände  mit 98 Millimeter Ski unter der Bindung. Zum Vergleich: Ein Racecarver ist in der Mitte rund 65 Millimeter breit und viel härter abgestimmt. Dank ihrer üppigen Dimensionen, einer weicheren Schaufel und der Rocker-Konstruktion schwimmen moderne Freerideski optimal auf, während die Pistenski im lockeren Weiß absaufen. Gleich der erste Ski ist ein absoluter Volltreffer. Selbst auf der Piste macht dieses Modell von Fischer noch richtig Spaß.

Der nächste Ski ist an der Reihe. Bei jedem Wechsel müssen Bindungslänge und Auslösehärte eingestellt werden. Der zweite Kandidat ist etwas schmaler und deutlich widerspenstiger als sein Vorgänger. Die Unterschiede zwischen den Ski sind beachtlich: "Es gibt unheimlich viele Faktoren, die den Ski ausmachen", sagt Klotz, "angefangen bei der Taillierung, über die verwendeten Materialien bis hin zur empfohlenen Bindungsposition." Eine vorgeschobene Bindung ermöglicht eine leichtere Schwungeinleitung, kann aber die Schwimmfähigkeit auf lockerem Untergrund beeinträchtigen. "Oft bekommt man keinen richtigen Druck auf die Kante", sagt Klotz. Je nach Kategorie werden kurze und lange Schwünge, jeweils gerutscht und geschnitten, Griffigkeit, beziehungsweise bei Freerideski das Aufschwimmen und die Zugänglichkeit bewertet.

Darunter versteht man, wie schnell man mit dem entsprechenden Modell zurechtkommt. Dazu noch eine Anmerkung und der Gesamteindruck. Dadurch ergibt sich am Ende ein objektives Bild. Eine gute halbe Stunde bekommt jedes Paar Ski Zeit, dann wird getauscht. Am ersten Tag stehen nur Freeride- und Allmountainski auf dem Programm  mit abnehmender Mittelbreite. Doch auch hier gibt es Überraschungen. Ein Modell mit 86 Millimetern unter der Bindung gleitet unglaublich gut über den Pulverschnee, während einer der deutlich breiteren Ski viel schlechter mit dem Untergrund zurechtkommt  viele Millimeter unter der Bindung sind also nicht allein seelig machend. Am Ende des Tages steht fest: Der erste Ski bleibt unerreicht.

Kulturschock

Am zweiten Tag folgt der Kulturschock. Zunächst müssen die mit Stahl und Titanal verstärkten Racecarver auf das Nebelhorn geschleift werden. Sie wiegen im Sechser-Skisack gefühlte Tonnen  und fahren sich völlig anders. Während die breiten Exemplare unbeeindruckt über Unebenheiten bretterten, reagieren die Racecarver deutlich sensibler. Bei der Schwungeinleitung verlangen sie deutlich mehr Präzision: "Das ist eine enorme Umstellung", sagt Klotz.
Langsam aber sicher machen aber auch die Geschwindigkeits-Experten für die Piste wieder Laune. Vor allem ein Modell von Völkl. Der Ski geht gut ums Eck, ist weniger zickig und etwas Fehler verzeihender als die Konkurrenz. "Grundsätzlich tendieren die Leute oft zu rennorientierten Ski", sagt Robert Klotz, "dabei würden viele mit etwas moderateren oder auch breitbandigeren Modellen viel glücklicher werden." In hiesigen Breiten kaufen sich die Wenigsten mehrere Paar Ski für verschiedene Einsatzgebiete. "Mit einem sportlichen Allmountainski steht einem praktisch der ganze Berg offen", sagt Klotz, "ein aggressiver Racecarver ist eigentlich nur auf der Piste zu gebrauchen." Apropos rennorientiert. Eines der Testmodelle ist ganz nah an die originale Rennversion angelehnt. Es ist das schwerste Paar im Test. Eindeutiges Fazit der beiden Tester: "Praktisch unfahrbar." Robert Klotz: "Dieser Ski ist eindeutig stärker als der Fahrer."

Diesmal brennen die Oberschenkel schon zur Mittagspause. Gut, dass danach wieder Allmountainski auf dem Programm stehen. Diesmal die schmaleren Modelle um 80 Millimeter Mittelbreite. Der dritte und letzte Tag bleibt den Pistencarvern vorbehalten  ein weites Feld. Vom gemütlichen Allrounder bis zum hochsportlichen Quasi-Racecarver ist alles vertreten.

Nachdem das letzte Paar gegen 14 Uhr getestet ist, zum 32. Mal der Koblat- und der Sonngehrenlift und die dazugehörigen Abfahrten bewältigt, da macht sich ein Gedanke breit, den der Autor in seiner inzwischen 35-jährigen Skifahrer-Laufbahn noch nie hatte: "Zum Glück muss ich morgen nicht auf die Ski."

Infos

Diese Ski haben uns richtig gut gefallen:

Racecarver: Völkl Racetiger Speedwall GS UVO

Viel Power für pickelharte Pisten aber dennoch fehlerverzeihend - ein echtes Spaßgerät

Pistencarver: Nordica Dobermann Evo EDT

Beeindruckender Kantengriff, viel Power und eine überraschend einfache Schwungeinleitung. Der Dobermann macht richtig Laune

Allmountain: Fischer Motive 86 Ti

Perfekt im zerfahrenen Gelände, extrem agil, mit sehr gutem Kantengriff

Freeride/Allmountain: Fischer Ranger 98 Ti

Gut im Powder, überraschend beweglich und selbst auf hartem Untergrund noch griffig