Powderequipment für Freigeister

Zwei Konstanzer bauen ultraleichte und stabile Freeride-Ski und -Snowboards

von Agathe Paglia

Tiefschnee ist ihr Element, doch kennengelernt haben sich Rainer Nootz und Werner Früh in der Halfpipe. Das war Mitte der 1980-er Jahre. Skate- und Snowboarden waren damals das Ding – auch das der beiden Jugendlichen aus Konstanz. Nach der Schule gingen ihre Wege auseinander. Nootz studierte Wirtschaftswissenschaften und wechselte ins Ausland, Früh lernte Zimmermann und blieb. Er machte sich einen Namen in der noch überschaubaren Snowboardszene. „Bretter waren damals nicht leicht zu bekommen, deshalb habe ich mir einfach selbst eines gebaut“, erzählt er trocken. Der Keller des elterlichen Hauses wurde zu Werners erster Werkstatt. Dort experimentierte er mit Hölzern und Formen. Bald produzierte er Bretter für „Magic Mountain“ aus Zürich, dem einzigen Laden in der erweiterten Region, der Snowboards verkaufte, später von seinem eigenen Laden „Jester Sports“ aus für Kultmarken wie Nitro, Fanatic oder Elfgen.

„Früh“ knapp vorbei am Welterfolg

Auch das Label Niedeker fragte 500 Boards bei ihm an. „Da hab ich gesagt, boah, das ist mir echt zu viel“, erzählt er lachend, während Nootz eine weitere Anekdote aus Werners frühen Unternehmerjahren ergänzt. Denn „zu viel“ war Werner auch das Porto, um sein Board im Austausch für eines von Jake Burton nach Amerika zu schicken. Nicht auszudenken, welche Weltkarriere Werner Früh so durch die Lappen gegangen ist. Bereuen tut er nichts. Mehr Zufriedenheit kann ein Gesicht nicht ausstrahlen. 2005 kam dann Rainer Nootz zurück nach Konstanz. Inspiriert von den geländegängigen Snowboards, die sein Freund Werner baute, war dem erfahrenen Alpinisten schnell klar, dass er so etwas als Tourenski haben wollte. Doch funktionale Latten, die leicht beim Aufstieg sind und Spaß beim Abfahren machen, gab es damals nicht. Not macht erfinderisch: Wenig später tüftelten die beiden Wintersportbegeisterten am ersten Prototyp. 2007 gründeten sie Powderequipment und teilten sich zunächst eine Werkstatt mit einem Surfbrettbauer. 2014 bezogen sie ihre jetzigen Räumlichkeiten – eine Panzergarage der ehemaligen Jägerkaserne in Konstanz.

Mehr Evolution, mehr Revolution

Prototypbau ist Grundlagenforschung: basteln, experimentieren, modifizieren – ein steter Kreislauf. Das war anfangs sehr zeitraubend. Erfahrung hat beide schneller werden lassen. „Wenn wir jetzt von der Blaupause weg bauen, kommt mit hoher Wahrscheinlichkeit etwas dabei heraus“, so Früh. Heute fertigen sie von einer Idee immer eine extreme Variante und zwei bis drei moderate Abstufungen. Danach geht es zum Test auf die Piste – nach Vorarlberg oder ins Schweizerische Graubünden, aber immer bei schlechten Bedingungen. „Nur dann spürt man den wahren Charakter eines Skis“, weiß Nootz, „bei Champagnerpulver und Sonnenschein glänzt jeder Ski, auch jeder Fahrer“.
Aktuell arbeiten die beiden an verschiedenen Taillierungen und Radien für mehr Laufruhe. „Unsere Ski gehen wirklich leicht um die Ecke, doch stabil geradeaus müssen sie eben auch fahren“, scherzt Früh.
Produktion der Serie und Entwicklung laufen bei der Konstanzer Lattenschmiede parallel. Erst wenn eine Neuerung einen wirklichen Unterschied am Berg macht, fließt sie in die Serie ein. Wie schnell sie umsetzbar ist, hängt oft davon ab, ob das Rohmaterial verfügbar ist. Ausgebremst werden sie dadurch eher selten. Dabei helfen ihre lange Branchenzugehörigkeit und ihre guten Kontakte, weiß Nootz. Sei es, um an kleinere Mengen Gewebefaser zu kommen oder um sich an die Produktion eines anderen dranhängen zu können.

Sandwich-Taktik geht auf

In den Skiern von Powderequipment stecken hochwertige Komponenten von Herstellern, deren Produktionsprozesse zertifiziert sind, bei denen Arbeits- und Umweltbedingungen stimmen. Verbaut sind sie in der aufwändigen Sandwich-Methode, verbunden durch hochwertige Harze und einer Tonne Pressdruck. Günstige Glasfaser aus China oder superleichte Tropenhölzer sind für beide Entwickler keine Option. „Der Urwald wird unseretwegen nicht kleiner“, so Früh. „wir nutzen heimische oder zertifizierte Hölzer“. Tatsächlich besteht der Kern eines Tourenskis nach wie vor aus Holz, auch bei ihren. Die beiden Konstanzer nutzen stabile Esche und leichte Pappel.
Ein Kevlar-Carbon ummantelter Kern, über dem noch Glaserfaser liegt. Diese Kombination macht den Ski resistenter und zugleich leichter. „Um dieselbe Stabilität mit Glasfaser alleine zu erzielen, müsste man bis zu dreimal mehr Gewicht verbauen“, erläutert Früh begeistert. Gesinterte Rennbeläge, die besser Wachs aufnehmen, bilden die untere Schicht, eine von unten bedruckte Folie wird oben verpresst. Die Seitenwange besteht aus Kunststoff, genauer gesagt aus Acrylnitril-Butadien-Styrol-Copolymere – kurz ABS. Zumindest noch! Derzeit arbeiten die beiden Tüftler an einer aus 13 bis 15 dünnen Einzelplatten gepressten Variante aus Esche, die schon bald  reif für die Serie sein wird.
Genau wie der komplette Ski ist diese Platte ein Verbund aus verschiedenen Materialien. Sie kleben nur in einer bestimmten Zusammensetzung dauerhaft, haften nur gut mit dem verwendeten Harz. Wird irgendetwas an diesem Verhältnis verändert, hat das direkten Einfluss auf den Verbund. Auch auf die Optik, weiß Früh, der darin die Gründe für brüchige Lacke oder das Vergilben von Farben bei Serienskiern sieht. Die beiden Konstanzer lassen dem Harz die Zeit, die es braucht, um langsam abzukühlen und spannungsarm zu bleiben. Auch Kohle-Kevlar können sie sich nur leisten, weil sie in kleinen Chargen produzieren. Diese Faser ist zwanzig Mal teurer als die aus Glas. „Wir sind in unserer Nische kompromisslos, gerade weil wir nicht so stark auf produktionsrelevante Aspekte angewiesen sind“, weiß Unternehmensberater Nootz. Typ A, Typ B, Pionier und Stambecco heißen die vier aktuellen Modelle von Powderequipment – passend je nach Körpergewicht, -größe und Einsatzort. Maximal zwei Farben hat jeder Ski: Kombis aus Weiß, Schwarz und Grün oder Holzfurnier und immer mit Steinbock- oder Gipfelgrafik.

Extremes für jeden

Namhafte Alpinisten und viele Bergschulen zählen zum Kundenstamm der Konstanzer Manufaktur, denn ihre Ski decken jedes fahrerische Können ab. „Cracks können sie ausreizen und echten Fahrspaß genießen und Anfänger stehen sicher auf den Latten – selbst ich kann damit gut aussehen“, witzelt Snowboarder Früh. Hauptabnehmer sind ambitionierte Skifahrer, die in der kalten Jahreszeit fast immer auf Brettern stehen, sogar den Jahresurlaub im Winter verbringen. Auch Sammler und jene, die auf der Suche nach dem speziellen und nachhaltig produzierten Produkt sind. Das darf dann auch gerne mehr als ein Serienmodell kosten. Viel teurer sind die Latten von Powderequipment aber nicht. Im Moment liegen sie zwischen 800 und 900 Euro. Doch Nootz und Früh verkaufen vorwiegend Skisets. Die Felle beziehen sie von einem Lieferanten aus Österreich, die Bindungen von Fritschi. Der Schweizer Mittelständler entwickelt und produziert nur ein kleines funktionales Sortiment. „Die Bindungen passen super zu unseren Skiern, das Unternehmen perfekt zu unserer Denke“, lobt Nootz. „Beginnt die Direktverkaufssaison, dann haben wir das komplette Sortiment vorrätig.“ Ohne persönlichen Kontakt verkaufen die beiden nichts. Die Kunden dürfen sich ausprobieren und manchmal kaufen sie anders als geplant, doch Beschwerden gab es nie. 1200 bis 1300 Euro kostet die komplette Ausrüstung. Offenbar eine gute Investition, denn viele Stammkunden fahren Typ B schon seit mehr als zwölf Jahren. Dass diese Langlebigkeit kontraproduktiv fürs Geschäft sein könnte, bezweifeln Früh und Nootz. Die Entwicklung gehe ja weiter und die Skifahrer werden älter, wollen leichtere Ski, kontern sie. Auch die Zahl derer wachse, die sich für jeden Berg und jede Winterlaune den passenden Ski kaufen.

Sich treu bleiben

Pro Jahr verkauft die Manufaktur Skier im „mittleren dreistelligen Bereich“. Das Business trägt sich. Aufgeben war nie eine Option für Früh und Nootz, expandieren ebenso wenig. Zu zweit bleiben sie flexibel, dürfen sich Neugierde und Bastelei leisten. In dieser Saison ist sogar wieder ein neues Snowboard im Plan. „Wir verstehen uns als Entwickler und Tüftler, nicht als Serienproduzenten“, postuliert Nootz. Tatsächlich passiere jeden Winter etwas, das sie dazu ansporne, in eine neue Richtung zu denken. Prototypen für große Hersteller entwickeln die beiden Tiefschneeexperten immer seltener. „Viele Firmen mögen es nicht, dass wir nebenbei an unserer eigenen Linie arbeiten“, sagt Früh. Doch dafür bliebe aktuell auch kaum Zeit. Sich treu bleiben und auf Einfaches reduzieren, das langfristig funktioniert, ist Credo von Powderequipment – bei Produktion wie Unternehmensführung. Daran wird nicht gerüttelt. „Neulich haben wir in den ursprünglichen Businessplan geschaut und festgestellt, dass wir alles so umgesetzt haben, wie wir wollten“, sagt Nootz stolz und ergänzt zufrieden: „Hat alles prima funktioniert, das darf so weitergehen“.

Infos

Details zu den verschiedenen Ski- und Snowboardmodellen, Shapes und Einsatzbereiche unter
www.powderequipment.de